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Samstag, 17. November 2012

Gertrude Stein über „is a...is a...is a...“

Woher Gertrude Steins legendärer Ausspruch „Rose ist eine Rose ist eine Rose ist eine Rose“ (Rose is a rose is a rose is a rose) stammt, wissen wir nun (siehe http://juttas-schreibtipps.blogspot.de/2012/11/gertrude-stein-uber-substantive-und.html). Aber wir wissen noch nicht, was sie damit meint.

Zum Glück fragte sie das ein Student nach ihrer Vorlesung von Poetik und Grammatik (Poetry and Grammar) an der Universität von Chicago im Jahr 1934. Ihre Antwort lautete:
Also  hören Sie! Verstehen Sie denn nicht, dass, als die Sprache neu war –  wie bei Chaucer und Homer –, der Dichter den Namen eines Dinges  gebrauchen konnte und das Ding dann wirklich da war? Er konnte sagen „O Mond“, „O Meer“, „O Liebe“, und Mond und Meer und Liebe waren wirklich da. Und verstehen Sie denn nicht, dass er, nachdem hunderte von Jahren vergangen und tausende von Gedichten geschrieben worden waren, sich auf eben jene Worte berufen und herausfinden konnte, dass sie nur abgenutzte literarische Worte waren? Das Erregende des reinen Seins war von  ihnen gewichen; es waren nur noch ziemlich abgegriffene literarische  Worte. Nun, der Dichter muss in der Erregung des reinen Seins  arbeiten; er muss der Sprache diese Intensität neu verleihen. Wir alle wissen, dass es schwer ist, im höheren Alter Gedichte zu schreiben; und wir wissen, dass man etwas Ungewöhnliches, etwas Unerwartetes in das Satzgefüge bringen muss, um dem Substantiv seine Vitalität zurückzugeben. Es genügt aber nicht bizarr zu sein; die Eigenart des Satzgefüges muss auch von der dichterischen Begabung kommen. Darum ist es doppelt schwer, im höheren Alter ein Dichter zu sein. Nun, Sie alle kennen hunderte von Gedichten über Rosen, und Sie wissen, dass die Rose nicht vorhanden ist. All jene Lieder, die Sopransängerinnen als Zugaben singen:  „Ich habe einen Garten, oh, was für einen Garten!“ Nun, ich möchte dieser Zeile nicht zuviel Bedeutung beimessen, weil sie nur eine Zeile in einem längeren Gedicht ist. Aber ich merke, dass Sie sie alle kennen; Sie sind belustigt, aber  Sie kennen sie. Also, hören  Sie! Ich bin kein Narr! Ich weiß, dass man im Alltag nicht herumgeht und sagt: „ist eine ... ist eine ... ist eine ...“. Ja, ich bin kein Narr; aber ich glaube, dass die Rose in dieser Zeile seit hundert Jahren zum ersten Mal in der englischen Poesie wieder rot ist."

Now listen. Can’t you see that when the language was new—as it was with Chaucer and Homer—the poet could use the name of a thing and the thing was really there. He could say ‘O moon,’ ‘O sea,’ ‘O love,’ and the moon and the sea and love were really there. And can’t you see that after hundreds of years had gone by and thousands of poems had been written, he could call on those words and find that they were just wornout literary words. The excitingness of pure being had withdrawn from them; they were just rather stale literary words. Now the poet has to work in the excitingness of pure being; he has to get back that intensity into the language. We all know that it’s hard to write poetry in a late age; and we know that you have to put some strangeness, as something unexpected, into the structure of the sentence in order to bring back vitality to the noun. Now it’s not enough to be bizarre; the strangeness in the sentence structure has to come from the poetic gift, too. That’s why it’s doubly hard to be a poet in a late age. Now you all have seen hundreds of poems about roses and you know in your bones that the rose is not there. All those songs that sopranos sing as encores about ‘I have a garden! oh, what a garden!’ Now I don’t want to put too much emphasis on that line, because it’s just one line in a longer poem. But I notice that you all know it; you make fun of it, but you know it. Now listen! I’m no fool. I know that in daily life we don’t go around saying ‘…is a…is a…is a…’. Yes, I’m no fool; but I think that in that line the rose is red for the first time in English poetry for a hundred years.  
(In What are masterpieces and Why are there so few of them (Was sind Meisterwerke) mit einer Einleitung von Thornton Wilder. Yale University Press 1947, S. V f.;  zitiert nach http://www.thealsopreview.com/messages/33/593.html?1265252025)


Montag, 5. November 2012

Die Sprache wandelt sich


Wörter sind wie Lebewesen: Sie kennen Geburt und Tod, Jugend und Alter, Familie und Vorfahren.
(Duden-Newsletter; zitiert nach http://woerter.germanblogs.de/archive/2007/07/23/wie-kommt-ein-wort-in-den-duden.htm)

Jeden Tag erblicken neue Wörter (Neologismen, von gr. neos = neu, logos = Wort) das Licht der Welt. Doch nicht immer werden sie kampflos übernommen. Wörter wie belichten, Gepflogenheit, Jetztzeit, die heute selbstverständlich sind, waren im neunzehnten Jahrhundert heftig umstritten. Doch schließlich gewöhnte man sich an diese »anstößigen« Wörter – sie hörten auf, Neologismen zu sein.

Wandel der Bedeutung von Wörtern

Aber es ändert sich auch die Bedeutung von Wörtern. So schreibt Walter Porzig, dass sich
Aussprache, Wortschatz und Satzfügung bei den einzelnen Altersklassen einer Gemeinde und innerhalb derselben Familie bei Kindern und Erwachsenen verschiedener Altersstufen merkbar unterscheiden, ja, dass sie sich bei demselben Menschen im Laufe seines Lebens sehr allmählich aber dauernd ändern. Die Älteren unter uns können das an ihrer eigenen Sprache beobachten: ein Angeber war in meiner Jugend ein Denunziant, jetzt ist er ein Großtuer. Das heißt, daß die Bezeichnung Angeber für Denunziant außer Gebrauch gekommen ist und daß der Großtuer einen neuen Namen bekommen hat. Es handelt sich gar nicht um ein Wort, sondern um zwei Wörter Angeber, die nur zufällig gleich sind. Worauf es hier ankommt, ist, daß sich die Bezeichnung für die beiden Begriffe im Laufe eines Menschenalters völlig geändert hat. (Das Wunder der Sprache. Francke 1957, S. 301)
Brandschatzen bedeutet heute das Niederbrennen eines Anwesens, ursprünglich jedoch das Erpressen von Schutzgeld, damit es eben nicht niedergebrannt wird. Ein Geschäftsmann war zu Goethes Zeiten ein Staatsbeamter, Firma die Unterschrift eines Fürsten. Ekel stand für wählerisch und anspruchsvoll. Das Wort Dirne bezeichnete ein Mädchen und Weib eine Frau. Mit »Bin weder Fräulein, weder schön / Kann ungeleitet nach Hause gehn« aus Goethes Faust I begründet Gretchen, dass sie keine ledige Adlige sei, denn nur diese wurde damals als Fräulein bezeichnet.

Vogel hieß alles, was flog. In manchen Dialekten, vor allem in der Schweiz, werden Schmetterlinge heute noch Sommervögel genannt. Wilhelm Buschs »Jeder weiß, was so ein Mai- / Käfer für ein Vogel sei« in Max und Moritz ist also durchaus nicht komisch.

Veraltete Wörter (Archaismen; latinisiert vom altgriechischen archaios = alt, ehemalig)

»Jeder von uns«, so Hans Eggers,
könnte bemerken, daß seine eigene Sprache anders ist als die seiner Großeltern. Wir sagen er kommt, wo Großmutter vielleicht noch er kömmt sagt, und wenn wir heute wechselweise zu Haus und zu Hause sagen, bald eine neue, bald eine ältere Form verwendend, pflegt Großvater wohl noch regelmäßig das e des Dativs zu bewahren. Auffälliger noch als solche lautlichen Veränderungen sind die Wandlungen des Wort- und Ausdrucksschatzes. Manches Wort und manche Redewendung, die die Großeltern ständig im Munde führen, verstehen wir freilich, werden sie aber niemals selbst gebrauchen, und unser modisches genau für das schlichte ja, unser prima, unser mit achtzig Sachen und viele Ausdrücke unserer Tage werden sich die Alten unter uns nicht mehr angewöhnen. Und sprechen unsere Kinder und Enkel nicht wieder eine andere Sprache? Wir, die wir mitten im Leben stehen, werden uns nur schwer daran gewöhnen, die Sprößlinge als Teenager und Twens zu bezeichnen, und auch deren Ausdrücke für ein hübsches Mädchen, dufte Biene oder steiler Zahn, werden wir uns kaum noch zu eigen machen. (Deutsche Sprachgeschichte. Rowohlt 1986 , S. 10)
Wörter können aber auch wieder modern werden. Manche veraltete Wörter wie Hain, Fehde, Degen, Recke, Tafelrunde, hegen und küren wurden vor allem durch Schriftsteller neu belebt.

Alte und neue Wörter und die Weltliteratur

Viele heute alltägliche Wörter waren unseren Großeltern unbekannt (abgesehen von Schreibwerkstatt, Internet und Geldautomat), aber wussten Sie, dass es vor einhundertfünfzig Jahren noch nicht das Wort jubeln gab? Man jubilierte oder frohlockte. Hingegen sagen wir nicht mehr justament für ausgerechnet, zu diesem Behufe für zu diesem Zweck, Veloziped für Fahrrad, Comptoir für Büro, Droschke für Taxi, Elektrische für Straßenbahn oder Automobil, platterdings, Gendarm und Boudoir.

Dagegen wurden so aktuelle Wörter wie Nervosität, Unsicherheit, Gespaltenheit, schon vor zweihundert Jahren gebraucht, und Karl Kraus benutzte bereits das Wort ausgepowert: »Aber selbst wenn diese Journalistik nicht die Sprache ausgepowert hätte, gäbe es keinen Ausdruck, ihr moralisches Niveau zu bezeichnen.« (Fackel, H. 622, 1913, S. 201)

Johann Wolfgang von Goethe schrieb von der Anarchie, der Bundesregierung, vom ankiffen und von den Aktien. Berühmt ist er auch für die Prägung des Begriffs Weltliteratur. Erster Beleg ist der Tagebucheintrag vom 15.1. 1827: »An Schuchardt diktiert bezüglich auf französische und Welt-Literatur.« (Tagebücher. Cotta 1959, S. 368) Doch schon wenige Tage später, am 27. 1. 1827, schreibt er an Karl Streckfuss: »Ich bin überzeugt, daß eine Weltliteratur sich bilde«, und prophezeit: »Der Deutsche kann und soll hier am meisten wirken, er wird eine schöne Rolle bei diesem Zusammentreten zu spielen haben.« (Briefe, S. 215)

Der Begriff Weltliteratur wurde zwar erstmals von Christoph Martin Wieland um 1790 geprägt, doch dieser meinte damit die Literatur, die der homme du monde, der Weltmann, liest. Für Goethe hingegen ist Welt die Menschheit jenseits der nationalen Grenzen. Er versteht darunter die Literatur, die aus einem übernationalen Geist heraus geschaffen wurde, also die Kleinstaaterei auch in der Dichtung überwindet. (Und musste später erkennen, dass das auch ein Überschwemmtwerden mit trivialer fremdsprachiger Literatur bedeutet.) (Siehe dazu auch http://www.adglossar.de/Weltliteratur und Goethes Aufsatz über die Weltliteratur auf http://www.wissen-im-netz.info/literatur/goethe/aufsatz/07.htm)

Modewörter

Heute selten gebrauchte Wörter wandeln sich schnell zu Modewörtern, andererseits klingen Wörter, die früher als Modewörter bezeichnet wurden, heute wieder unverbraucht. Vor über hundert Jahren prangerte Gustav Wustmann in Allerhand Sprachdummheiten: Kleine deutsche Grammatik des Zweifelhaften, des Falschen und des Häßlichen. Ein Hilfsbuch für alle, die sich öffentlich der deutschen Sprache bedienen Modewörter an, die heute noch lebendig sind, wie belanglos, Darbietung, Ehrung, einwandfrei, erheblich, erhellen, großzügig, jugendlich, Prozent/Prozentsatz (für Teil), schreiten, selbstlos, unerheblich, unerfindlich, unentwegt. – Ob sie einen Text verschönern, steht auf einem anderen Blatt und ist auch ein anderes Thema. –

Nicht nur Modewörter können neu belebt werden. Viele große Wörter sind mürbe geworden, weil viel zu oft benutzt und ihrer ursprünglichen Aussage beraubt. Was bedeuten heute noch Wohltäter, Demut oder Pflicht? »Man muß manchmal einen Ausdruck aus der Sprache herausziehen, ihn zum Reinigen geben, – und kann ihn dann wieder in den Verkehr einführen«, sagt Ludwig Wittgenstein in Vermischte Bemerkungen, S. 504. Wenn die Worte rekonstruiert sind und wieder in den Umlauf gebracht werden, würde ihnen wieder zu trauen sein.

Die verlorenen Wörter

Christa Wolf mahnte bei ihrer Rede anlässlich der Verleihung des Nelly-Sachs-Preises 1999 eine Liste über verlorene Worte an:
Müßten wir nicht damit anfangen, eine Liste der verlorenen Wörter anzulegen, so wie die Naturforscher Listen der aussterbenden Arten angelegt haben, die täglich länger werden? Und ist es abwegig, zu vermuten, daß die sterbenden Wörter etwas mit den ausgestorbenen Tieren und Pflanzen zu tun haben? Weil wir geduldet haben, daß ein Wort wie »Ehrfurcht« uns fremd geworden ist, ausgesondert, überflüssig, peinlich, bleibt eine Gefühlsstelle in uns taub, wenn wir Mitlebendes ausmerzen.
Und sie fragte:
Was ist heute menschlich? Worauf beziehen wir heutzutage das Wort »human«? Für welche Inhalte ist es uns unverzichtbar geblieben oder geworden? (Der Worte Adernetz. Suhrkamp 2006 , S. 89)
Verlorene Wörter sind auch solche, die von Schriftstellern geprägt, von anderen Autoren jedoch nicht aufgenommen wurden, wie Absonderling (Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen); Betschwesterei (Georg Christoph Lichtenberg); entdonnern (Archim von Arnim); Halbgeschmack (Johann Wolfgang von Goethe); Icher (Friedrich Gottlieb Klopstock); Schicksalssohn (Johann Gottfried Herder); vergottscheden (A. G. Kästner); Warmländer (Jean Paul); zwiesprachig (Theodor Mommsen).

Und dann gibt es noch die Wörter, die heute vergessen sind wie Abnolken, Anquerdern, Anspinn, befetschen, Dolk, Empter, entnafzen, Gurbe, Gusel, hangdrüslicht, Hirsetute, Hupfelrei, ichtes (mit ichtesicht, ichteswann, ichtwan, ichtwas, ichtwasig, ichtwer, ichtwvo), Immi, Karschbein, Kannenwvroge, kille, Klipse, Kleuder, kommlich, Kone, Leibfall, Leuchse, Ludellerche, Mannsen, Melkter, Momber, Musterherr, Muttich, Pinge, Qualster, Quarre, Quappel, reuen, Ritscher, Sanduhrstein, Tschinke, Übersatz, Watschar, Wurstgraben, Zerte, Zeute, Zust.

So manches Wort werden wir bald vermissen, weil es heute schon selten erklingt, wie Anmut, Base, Belletage, betrübt, dämmern, Demut, entschwinden, entzückt, gefeit sein, Flegel, Gabelfrühstück, Göre, Herrenzimmer, Hochpaterre, Hupfdohle, intim werden, kredenzen, Lameng (aus der Lameng), Lichtspielhaus, lind, Mündel, Obacht, Ober (Ober, bringse noch’n Bier), Oheim, Philister, Plage, Plumpe, prellen, Racker, Ränke, reuen, rühmenswert, Rüstung, schwirren, schnauben, übertölpeln, Wählscheibe, Zecke, Zinne, Zuchthaus, Zugehfrau, Zwielicht, Zwist.

Dazu kommen noch die Wörter, über die wir froh sein werden, wenn sie verloren sind (diese Wörter notiere sich der Leser selbst).

Mittwoch, 18. Juli 2012

Was haben eigentlich der Widerwart mit der Gegenwart und die Gegenwart wiederum mit der Antwort zu tun?


Vom Widerwart


Nachtrag zum Post http://juttas-schreibtipps.blogspot.de/2012/06/sinniges-und-widersinniges-uber-die.html:

Ich muss mich leider korrigieren: Es gibt den Widerwart für Feind, unangenehme Person, man muss nur ins Deutsche Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm schauen. Unter anderem führen sie als BelegMatteo Maria Boiardo (1441–1494) an, der im Verliebten Roland fragt: „Woher ist dieser Widerwart gekommen?“ (S. 144)

Ganz ergötzlich schreibt Heinrich Bauer in der Vollständigen Grammatik der neuhochdeutschen Sprache dazu:
(…) die Gegenwart, neben welcher keine Widerwart statt findet, obgleich dem gegenwärtig das widerwärtig untergeordnet ist, dessen Ableitung die Widerwärtigkeiten wieder keinen allgemeinern, höhern Begriff in Gegenwärtigen mit sich hat. (S. 498)
Fritz Mauthner schreibt im Wörterbuch der Philosophie zum Stichwort Gegenwart:
Ich hätte für eine Wortgeschichte nur das D. W. [Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm] auszuschreiben, den Artikel Gegenwart aus dem unvergleichlich besten Bande des Wörterbuchs. Man hat in historischer Zeit und bis heute die Entstehung des Wortes nicht erklären können, und daraus sind wohl viele unorganische alte Formen zu erklären. In seiner ältesten Gestalt scheint das Wort nur eine Verstärkung von gegen gewesen zu sein: was gegenüber steht; der Gegenwart wie der Widerwart (in diesem Sinne widerwärtig noch bei Goethe), das dem Sprachgefühl an Widerpart anzuklingen schien, bedeutete den Gegner. Für praesentia finden sich in alter Zeit die merkwürdigen Formen Gegenwurt (falsche Analogie nach Gegenwurf = Objekt?), Gegenwürt, endlich Gegenwärtigkeit und erst im 17. Jahrhunderte unser Gegenwart, das seltsamerweise zuerst im Rechtsleben aufgekommen zu sein scheint. Gegenwart und Beisein werden gewichtig miteinander verknüpft, und Gegenwart scheint eine aktivere Beziehung zu bezeichnen, als das bloße Beisein; in so feierlicher Weise wird besonders von der Gegenwart des Richters, des Fürsten, des Gottes geredet. Eine Nachwirkung dieses Gebrauchs, der uns noch bei Goethe und Schiller mitunter den eigentlichen Sinn eines Satzes verfehlen läßt [kursiv jmw], ist in der Definition gebucht, die Adelung von dem Begriffe gibt: »Der Zustand, da man durch seine eigne Substanz ohne moralische Mittelursachen, ja ohne alle Werkzeuge an einem Orte wirken kann, die Anwesenheit.« Zweierlei ist an diesen schulmeisterlichen Worten sehr beachtenswert: daß Gegenwart vor nicht viel mehr als hundert Jahren zunächst noch gar nicht als Zeitbegriff empfunden wurde, und daß man bei Gegenwart noch unmittelbar an eine Wirksamkeit im Räume dachte. Beide Vorstellungen scheinen dem Sprachgebrauche der Gegenwart, für die das Wort ganz besonders ein grammatischer Zeitbegriff geworden ist, zu widersprechen; und dennoch lassen sich beide Vorstellungen sehr gut mit den Tendenzen der gegenwärtigen Psychologie vereinigen. 
Und die Brüder Grimm schreiben unter Gegenwart:
ursprünglich auch ein subst. m., der gegenwart gegner, wie sonst widerwart (widerwarte), woher unser widerwärtig; md.: daß er nicht underbrêche / deme gegenwarte sîne wort. [In F. K. Köpke: Das Passional: Eine Legenden-Sammlung des dreizehnten Jahrhunderts, S. 73]
Und überhaupt sei die Gegenwart „ursprünglich und lange eine fragliche“ Form gewesen, „in den wbb. zu rasch angesetzt“.

Hm. Nun wollte ich es genau wissen. Woher kommt eigentlich das „vielfach merkwürdige“ (Grimm) Wort Gegenwart? Und wahrlich, es ist ein merkwürdiges Wort, wenn die Grimms für die Erklärung fast 50.000 Zeichen benötigen … (Wer es ganz genau wissen möchte, schaue selbst auf http://woerterbuchnetz.de/DWB/?lemid=GG04611 nach.)

über die Gegenwart und Otfried von Weissenburg


Die Grimms schreiben dazu:
ahd. nur ein adj. geginwart praesens, auch gagenwarti promptus (…), kakanwarti (…) nachher gagenwerte u. ä. (…); ebenso alts[ächsisch]. geginward und geginwerd adj., altn[ordisch]. gagnvart und gagnvert (…)., in der bedeutung gegenüber, vielleicht in einer vermischung mit vart als adv. zu varr genau u. ä.; (…), sodaß man für das altn. deutschen einfluß vermuten darf. die bedeutung gegenüber gibt aber den ursprüngl. begriff genau: in meinem gesichtskreis gegen mich gekehrt oder gegen mich herkommend, d. h. wie gegen, ahd. gagan eigentlich selbst schon (…), sodaß geginwart, gaganwart wie eine verdeutlichende ausmalung des einfachen wortes aussieht (…), mittelst wart, d. h. gewendet, versus; vgl. die spätere verstärkung von gegen durch nachgebrachtes wart, wert (…), z. b. mhd. gegen dem mere wart, nhd. gen dem meer werts (vgl. DWB gegenwarts), was denn eigentlich mit dem ahd. geginwart zusammenfällt, da auch dieß zugleich eine bewegung bezeichnete, wie noch gegenwärtig.
Allerdings gebraucht Ottfrid von Weissenburg bereits um 870 im Evangelienbuch* mehrmals das Wort  géginuuerti im Sinne von Anwesenheit:
Vuir thina géginuuerti niazen mit giuuúrti,
ioh sin thih saman lóbonti allo uuórolt uuorolti. (IV, V. 24, 22–23, S. 384)  
Wo deine Gegenwart nie satt dahingibt alles was sie hat,
Und Welt an Welt zum Heil verjüngt dir ewig Hallelujah singt. (S. 155)
– In diesem Buch ersetzte er als erster deutscher Dichter den bis dahin in der germanischen Dichtung verwendeten „heidischen“ Stabreimvers (Alliteration) durch den „christlichen“ (christlich, weil er in lateinischen kirchlichen Hymnen verwendet wurde) Endreimvers. Reste davon finden wir heute noch in Redensarten wie Kind und Kegel, Haus und Hof, über Stock und Stein). (Siehe zu Otfried, vor allem im Hinblick auf seine Sprache, E. G. Graff: Krist, S. V ff.  und zum Reim Herz / Schmerz auch http://juttas-schreibtipps.blogspot.de/2008/10/auflsung-von-sprachrtsel-no-10.html) –

*Leider ist die zitierte Stelle in dieser Handschrift (The Heidelberg Codex (Cod. Pal. lat. 52) unlesbar)

Als ersten Beleg für den Gebrauch des Wortes Gegenwart als Zeitbegriff nennen die Brüder Grimm die Zeilen Friedrich Schillers in dessen Gedicht Poesie des Lebens - An ***, „Bei dessen Worten“
Soll gleich mit meinem Wahn mein ganzer Himmel schwinden,
Soll gleich den freien Geist, den der erhab’ne Flug
Ins grenzenlose Reich der Möglichkeiten trug,
Die Gegenwart mit strengen Fesseln binden (Gedichte. 1806, S. 153),
„wir nun mehr oder völlig an den bloßen zeitbegriff denken (…)“

Als Begriff „von der „gegenwärtigen Zeit“ sei er jedoch
jung (…)  für gegenwart, denn noch am ende des vorigen jahrh. führt ihn ADELUNG [in Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, 1796, http://www.zeno.org/Adelung-1793/A/Gegenwart,+die] gar nicht mit an (bei CAMPE nachgetragen als 2. bed[eutung,  [Wörterbuch der deutschen Sprache, 1813,  S. 831)  während er ihn beim adj. aufführt [siehe das Stichwort Actuéll; Presénce bedeutet dagegen die körperliche Gegenwart]; (…). dennoch war er schon da: in gegenwart, gegenwärtig, vor jetzo.
Eine ausführliche Zusammenstellung der unterschiedlichen Schreibweisen von Gagenwart siehe Eberhard Gottlieb Graffs Althochdeutscher Sprachschatz oder Wörterbuch der althochdeutschen Sprache, 1834, S. 64 f.)  zum Begriff Gegenwart siehe auch Goethe-Wörterbuch, Sp. 1260 ff.

zur Antwort


Die Grimms schlagen einen Bogen von der Gegenwart zur Antwort:
die ursprüngliche bed. eines feindlichen entgegenstehens, die uns in widerwärtig noch anklingt, in mhd. zeit auch in gegenwart m. gegner vertreten (…), zeigt sich in dem begrifflichen subst. nd. in dem bose yegenwart für malus occursus (…), eigentlich was mir feindlich entgegentritt; man sehe dazu gegen in seiner entstehung (…), daß ursprünglich auch bewegung mitgedacht sein konnte. von da mag es zunächst in den gebrauch vor gericht übergegangen sein. (…)
gerade im rechtsleben ist nämlich im 13. 14. jh. das ältere antwerte daneben noch geläufig (…), z. b.: swen man vor gerichte schuldiget in sîn antwerte, wirt her ding [vluchtic, her ist in der clage gewunnen; in Sachsenspiegel, Art. 45, S. 89; in der Ausgabe steht allerdings statt antwerte antwurte] nd. in sîn antwerde; in sîn antworte. (…) ebenso zu antwerte, antwurte gegenwärtig. da aber vor gericht das antworten, gegenreden die hauptsache war, ist es begreiflich daß sich die begriffe gegenwart und antwort verflochten, (…); die mischung ist so völlig, daß auch die form mit e (eigentlich i) vom antworten gebraucht war (…); lebt sie doch noch in unserm deutsch in überantworten (…). ja das auffallende fem. von unserm antwort (…) mag sich eben aus dieser mischung herschreiben. selbst gegen und ant gehäuft findet sich, aus einer md. hs. des Ssp [Sachsenspiegel]. bringt HOMEYER im reg[ister] unter antwort bei zu geginantworte, gemeint wol: als gegenwärtig zur verantwortung, vergl. [und dar du] jegenwardich* tur antwerde nicht [en denne also] [Der Rechtsteig Landrechts nebst Cautela und Premis, S. 299]
*auch uniegenwardich

Im Mittelhochdeutschen Handwörterbuch von Matthias Lexer finden wir unter ant-würte antwort :
antwort. nbff. antwerte, antwert, antwirt, éntwurte, (…) entwürt u. später antwort. im rechtlichen sinne die antw. vertheidigung des beklagten (nach clag und antwurt, red und widerred) und rechenschaft.
und unter ant-würten:
prät. antwurte. nbff. antworten, antwerten (prät. antwarte), antwirten, éntwurten, éntwerten: antworten; verantwortlich sein, rechenschaft geben; sich gegen eine gerichtliche klage vertheidigen. allg.mit ge-, ver-.

und zu ward/wart/wert/wurt


Woher die Silbe ward/wart/wert/wurt (-wärts) kommt, habe ich nicht recherchiert, man mag es mir nachsehen. Eigentlich sollte dieser Beitrag ja nur nachweisen, dass es den Widerwart doch gibt. Dass ich dabei wieder einmal vom Hündchen zum Stöckchen gekommen bin, liegt halt an den äußerst ausführlichen Ausführungen der Brüder Grimm. Aber wer daran interessiert ist, schaue in Graffs Althochdeutschem Sprachschatz nach. Auf 23 Seiten hat er sämtliche Formen und Bedeutungen dazu zusammengetragen, darunter in den Spalten 1001 f. die zu Antwort (Antwart, antwarti, antwerti = gegenwärtig und Antwart, Antwarti, Antwerti, Antwurt, Antwurti = Gegenwart (siehe antwurti  in wort), von Spalte 1008 bis 1010 alle Formen zu Gaganwart = Gegenwart und in  Spalte 1020 ff. alles zu Wort. Das Wörterbuch erinnert etwas an die heute üblichen Wortwolken auf Webseiten und Blogs, benützt der Drucker doch unterschiedliche Schriftgrößen für die Einträge, was das (Quer-)Lesen ungemein erleichtert.

Wer mag, lese die bewegende Vorrede zu seinem Werk). Beklagt er doch unter anderem den durch die  mangelnde Unterstützung verzögerten Druck – welcher Schriftsteller kann ihm da nicht aus vollstem Herzen zustimmen. Und er schreibt: „Mit welchen Empfindungen werde ich, wenn Gott mich mein Werk vollenden läßt, am Schlusse desselben auf diese Zeilen blicken? Mit noch tieferem Grame? oder mit einem in Dank und Freude aufgelösten Gemüthe?” Die Antwort kennen wir nicht, aber hoffen wir das letztere. Zumindest hat er die Herausgabe des Buches 1834, das er 1824 begonnen hatte, um sieben Jahre überlebt.

Mittwoch, 13. Juni 2012

Ein Waldspaziergang (Über die Bedeutung von Wörtern)


Stellen Sie sich vor, Sie spazieren mit sechs Freunden an einem Herbstnachmittag durch einen Wald. Sie schauen Ihre Begleiter an, atmen tief ein voll Glück, dass Sie mit Gleichgesinnten zusammen sein dürfen. Das ist ganz und gar nicht selbstverständlich heutzutage, überlegen Sie und schlucken ein bisschen und wischen sich ein Tränchen aus dem Auge.

Sieben Freunde spazieren also durch den denselben Wald. Nur: Der eine schätzt, wie viel Klafter Holz er ergibt und errechnet den Gewinn, der zweite bestimmt die Baum- und Pflanzenarten und freut sich über ein seltenes Exemplar, der dritte schaut nach Pilzen und Blaubeeren aus und kocht in Gedanken das Abendessen, der vierte beklagt den sauren Regen, der fünfte bewundert die Krabbeltiere auf einem Ameisenhaufen und lauscht dem Hämmern eines Spechts, dem sechsten ist der Wald halt ein Wald, an dem er sich erfreut, und der siebte ist wie immer voller Worte und schreibt in Gedanken ein Gedicht. Sieben Freunde spazieren durch den Wald und sind Kaufmann, Botaniker, Koch, Umweltschützer, Zoologe, einfach Mensch – hier darf er’s sein – und Dichter. Vielleicht ist der eine auch ein Patriot, der den deutschen Wald besingt, und der andere ein Griesgram, der mit finsterer Miene durch den Wald stolpert, weil er lieber in der Kneipe säße.

Oder das: Sie besichtigen mit einem Freund Kloster Melk in der Wachau. Bei einem Mauerdurchbruch, der den Rahmen für eine eindrucksvolle Aussicht auf die Donau bilden würde, jammern Sie darüber, dass Sie Ihren Fotoapparat vergessen haben. Ihr Freund aber sieht ‘nur' die Straße, die sich an der Donau entlang schlängelt – und vermisst sein Fahrrad.

Sprache ist immer symbolisch. So alltägliche Wörter wie Wald sind nur ein Hinweis auf einen Gegenstand. Auch bei Mutter und Vater weiß jeder, wovon die Rede ist. Doch letztlich hängt der Sinn eines Wortes von unseren Erfahrungen ab.  Was der eine mit einem Gefühl tiefer Geborgenheit verbindet, bedeutet für den anderen lebenslange Kränkung. Denn jeder Mensch sieht die Welt mit seinen eigenen Augen, hat seine eigene Sicht der Dinge, sein persönliche Deutung von Wörtern. Beim Lesen wählen wir aus, wessen wir gerade bedürfen, Trost oder Ansporn, Frage oder Antwort, Vertrautes oder Rätselhaftes.

Sprache sagt nicht aus, was ist und wie die Welt ist, sie bildet nicht die Wirklichkeit ab, sondern unsere besondere Art, sie wahrzunehmen, und auszuwählen, was wir für nennenswert halten. Nicht umsonst spricht man von Weltanschauung und Weltbild (mehr zu den beiden Begriffen siehe Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm, Bd. 28, Sp. 1531 ff.)

Und genau aus diesem Grund sind Interpretationen des eigenen Textes meist nicht möglich. Denn ebenso wie der Autor seine Weltanschauung einbringt, bringt der Leser seine Denkweise ein. Er entnimmt ihm seine eigene Wahrheit, anders, als der Autor geplant hatte. 

Donnerstag, 7. Juni 2012

Über die Richtigstellung der Begriffe (zheng ming 正名; auch Richtigstellung der Namen; Richtigstellung der Bezeichnungen)


(Dieser Post bezieht sich aktuell auf die Bezeichnung „Grundlagenforschung“ im Interview des NDR mit der Schufa-Sprecherin Dr. Kasper anlässlich des geplanten Ausspionierens von jedermann auf Facebook/Twitter/Xing und so weiter. OT: Das Thema ist natürlich ein gefundenes Fressen für Blogger, und so gibt mittlerweile auch die „10 Statusmeldungen für ein SCHUFA-optimiertes Facebook-Profil“ http://www.sheng-fui.de/aktuell/10-statusmeldungen-fuer-ein-schufa-optimiertes-facebook-profil/ und „Neulich bei der SCHUFA“ http://quadratmeter.wordpress.com/2012/06/07/neulich-bei-der-schufa/, wobei ich mich dann immer neidisch frage, warum mir nicht so etwas Geistreiches einfällt … Bei der Gelegenheit habe ich auch gelernt, was ein Lolcat ist)

III: Richtigstellung der Begriffe

Dsï Lu sprach: »Der Fürst von Wei wartet auf den Meister, um die Regierung auszuüben. Was würde der Meister zuerst in Angriff nehmen?«
Der Meister sprach: »Sicherlich die Richtigstellung der Begriffe.«
Dsï Lu sprach: »Darum sollte es sich handeln? Da hat der Meister weit gefehlt! Warum denn deren Richtigstellung?«
Der Meister sprach: »Wie roh du bist, Yu! Der Edle läßt das, was er nicht versteht, sozusagen beiseite. Wenn die Begriffe nicht richtig sind, so stimmen die Worte nicht; stimmen die Worte nicht, so kommen die Werke nicht zustande; kommen die Werke nicht zustande, so gedeiht Moral und Kunst nicht; gedeiht Moral und Kunst nicht, so treffen die Strafen nicht; treffen die Strafen nicht, so weiß das Volk nicht, wohin Hand und Fuß setzen. Darum sorge der Edle, daß er seine Begriffe unter allen Umständen zu Worte bringen kann und seine Worte unter allen Umständen zu Taten machen kann. Der Edle duldet nicht, daß in seinen Worten irgend etwas in Unordnung ist. Das ist es, worauf alles ankommt.«

Konfuzius

(In Kungfutse:  Lun Yu  Gespräche, Buch 13.3 http://tinyurl.com/9clnhj4)

Tsze-lu said, "The ruler of Wei has been waiting for you, in order with you to administer the government. What will you consider the first thing to be done?"
The Master replied, "What is necessary is to rectify names."
"So! indeed!" said Tsze-lu. "You are wide of the mark! Why must there be such rectification?"
The Master said, "How uncultivated you are, Yu! A superior man, in regard to what he does not know, shows a cautious reserve.
If names be not correct, language is not in accordance with the truth of things. If language be not in accordance with the truth of things, affairs cannot be carried on to success.
When affairs cannot be carried on to success, proprieties and music do not flourish. When proprieties and music do not flourish, punishments will not be properly awarded. When punishments are not properly awarded, the people do not know how to move hand or foot.
Therefore a superior man considers it necessary that the names he uses may be spoken appropriately, and also that what he speaks may be carried out appropriately. What the superior man requires is just that in his words there may be nothing incorrect."

(In The Analects* of Confucius: Parallel English and Chinese, S. 85)

*論語 / 论语 lùn yǔ oder lún yǔ

Ähnlich heißt es im Kongzi shijia 孔子世家 [Erbhaus des Konfuzius]. der ersten zusammenhängenden Biografie des Konfuzius, aus demWerk Shiji (史記) des Sīmǎ Qiān 司馬遷 / 司马迁:

Damals gelang es dem Vater des Fürsten Zhe von Wei nicht, den Thron zu erringen und [er hielt sich] außerhalb des Landes auf. Zahlreiche Lehnsherren meinten, er habe abgedankt. Mehrere Schüler des Konfuzius waren Beamte in Wei. Der Fürst von Wei wünschte auch Konfuzius in der Regierung zu haben. Zilu sagte: „Der Herzog von Wei beruft Sie in die Regierung. Was werden Sie zuerst tun?“ Konfuzius sagte: „Man muss die Bezeichnungen richtigstellen.“ Zilu sagte: „Das soll es sein? Bewegt sich der Meister [nicht] auf Abwegen? Warum sollte man [die Bezeichnungen] richtigstellen?“ Konfuzius sagte: „Wie unkultiviert du bist You, denn wenn die Bezeichnungen nicht richtig sind, dann werden die Worte nicht befolgt. Werden die Worte nicht befolgt, dann werden die Dienste nicht erledigt. Werden die Dienste nicht erledigt, dann gedeihen Riten und Musik  nicht. Wenn Riten und Musik nicht gedeihen, dann treffen die Strafen nicht zu. Treffen die Strafen nicht zu, dann weiß das Volk nicht, wohin es Hand und Fuß setzen soll. Darum, was der Edle tut, das muss bezeichnet werden können, und was er sagt, das muss in die Praxis umgesetzt werden können. Der Edle ist in seinen Worten niemals nachlässig.“

(Zitiert nach Christiane Haupt: Und der Meister sprach … (Dort findet sich auch der chinesische Originaltext) http://edoc.ub.uni-muenchen.de/10363/1/Haupt_Christiane.pdf

Und im 8. Kapitel des Chunqiu: Frühling und Herbst des Lü Bu We heißt es

Richtigstellung der Begriffe / Dschong Ming

Wenn die Begriffe richtig sind, herrscht Ordnung, wenn die Begriffe versagen, herrscht Verwirrung. Daß die Begriffe versagen, ist aber die Schuld der Schwätzer. Die Schwätzer nennen das Unmögliche möglich, das Nichtwirkliche wirklich, das Unrichtige richtig, das was nicht falsch ist, falsch. Dagegen sind die Reden des Edlen geeignet, was wirklich an einem Menschen tüchtig ist, was tatsächlich an einem Menschen untauglich ist, zu bezeichnen und das deutlich zu machen, wodurch Ordnung hochkommt und wodurch Verwirrung entsteht, zu zeigen die Verhältnisse der Dinge, und worauf das Leben der Menschen beruht.

Wo immer Verwirrung herrscht, da sind die Strafen und die Bezeichnungen nicht treffend. Ein Fürst, auch wenn er untauglich ist, scheint doch immer Weise anzustellen, Gute zu hören und das Richtige zu tun. Das Übel ist nur, daß das, was er als tüchtig bezeichnet, darauf hinausläuft, daß es die Befolgung des Untüchtigen bewirkt, das was er als gut bezeichnet, darauf hinausläuft, daß es die Befolgung des Unrechts bewirkt, das was er als richtig bezeichnet, darauf hin ausläuft, daß es die Befolgung von Verkehrtheiten bewirkt. Auf diese Weise haben sich Strafen und Bezeichnungen von der Wahrheit entfernt und der Laut bezeichnet etwas anderes, als das durch ihn vertretene Ding. Tüchtig ist soviel wie untüchtig, gut ist soviel wie unrecht, richtig ist soviel wie verkehrt. Wenn dann der Staat nicht in Verwirrung, die eigne Person nicht in Gefahr gerät, worauf will man dann noch warten!

In Lü Bu Wei: Chunqiu: Frühling und Herbst des Lü Bu We, Buch XVI / Siän Schï Lan,  S. 538)

Oder kurz und knapp und als Zitat weit verbreitet:
Wenn die Worte nicht stimmen, dann ist das Gesagte nicht das Gemeinte. Wenn das, was gesagt wird, nicht stimmt, dann stimmen die Werke nicht. Gedeihen die Werke nicht, so verderben Sitten und Künste. Darum achte man darauf, dass die Worte stimmen. Das ist das Wichtigste von allem. (oider auch "Wenn die Sprache nicht stimmt …"