Dienstag, 4. Oktober 2011
Über Deppen-Aussagen, Selbstmord- und andere reizende Wörter
Nein, ich würde natürlich nie schreiben: „Sie sollten einsehen, dass Sie eher einen Verlag finden, wenn Sie meine Posts in diesem Blog lesen. Können Sie das nicht begreifen?“ Modalverben wie können und sollen, aber auch dürfen, mögen, müssen, wollen, sind nämlich manchmal für unseren Beruf lebensgefährlich, weil sie zu Missverständnissen und Blockaden führen können (hier ist können richtig, denn sie müssen das nicht). Unsere Leser werden in Zukunft um unsere Werke einen großen Bogen machen. Nicht ohne Grund werden sie auch Reizwörter oder Selbstmordwörter genannt.
Denn Ihr Leser verbindet solche Wörter unbewusst mit Gefühlen aus der Kindheit, als er sich gegen Eltern, Lehrer und ältere Geschwister nicht durchsetzen konnte. Er reagiert trotzig oder wird aggressiv, weil er sich angegriffen fühlt. Vor allem fühlt er sich als Trottel, als Depp, weil er in seinem Selbstwertgefühl getroffen wird. Dabei muss dem Sprecher gar nicht bewusst sein, dass er „Du Depp“ in Gedanken mitspricht. (Und nun fügen Sie bitte allen Sentenzen, die ich im folgenden aufführe, ein gedankliches „Du-Depp an“.)
Dazu gehören auch Reizformulierungen oder Du-Depp-Formulierungen wie „Daran darf man noch nicht einmal denken …“, „Das kann man so sagen, aber …“, „Das kann man doch nicht machen …“, „Das hätten Sie doch wissen müssen …“ „Das tut man nicht …“, aber auch „Wie kommen Sie denn auf die Idee? (Du Depp)“, mit denen der Sprecher kundtut, dass er den Stein der Weisen gefunden hat, denn nur er weiß, was erlaubt ist, woran man denken darf usw.
Sie müssen schon entschuldigen, dass ich diese Wörter und Wendungen hier aufführe, aber Sie müssen doch zugeben, dass meine Ausführungen nicht uninteressant sind. Und nun sollten Sie nicht sagen, dass solche Wörter nicht in dieses Schreibtipps-Blog gehören. Wo ich was schreibe, müssen Sie schon mir überlassen. Seien Sie doch vernünftig und akzeptieren Sie das (Sie Depp, können Sie denn meinen Standpunkt nicht verstehen?).
Sie müssen … Sie sollen nicht … Jeder vernünftige Mensch weiß doch, dass er diese Phrasen vermeiden soll. Sie irren, wenn Sie meinen, dass das auf keinen Fall auf Sie zutrifft. Seien Sie ehrlich, Sie haben sie schon tausendmal verwendet. Na hören Sie mal, das ist doch Unsinn, wenn Sie das leugnen. Da sind Sie aber auf dem Holzweg. Merken Sie nicht, dass Sie dummes Zeugs aufführen?
Sie haben mich falsch verstanden …, Ihnen fehlt ja jedes Verständnis …, Man weiß doch …, Alle denken doch so (nur du nicht, du Depp), dürfen, dürfen nicht, das darf man nicht, das geht nicht … Und der kleine Junge steht wieder zitternd vor dem Riesen, der sein Vater ist, und das kleine Mädchen vor dem Lehrer und hört die anderen Kinder kichern.
(Siehe dazu auch http://juttas-schreibtipps.blogspot.com/2006/07/mgen-htte-ich-schon-wollen-aber-drfen.html und http://juttas-schreibtipps.blogspot.com/2006/09/ber-un-wrter.html)
Kerstin Hoffmann – im Netz auch bekannt als PR-Doktor – hat 2012 zum „Jahr der ungewöhnlichen Formulierung“, ernannt, denn: „Weg mit sprachlichen Klischees und gedankenlos übernommenen Floskeln in der Unternehmenskommunikation! Her mit guten Texten, die wirklich herüberbringen, was Sie sagen wollen!“ In dem Zusammenhang hat sie auch zu einer Blogparade aufgerufen, an der ich mich sehr gern beteilige.
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