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Freitag, 7. Oktober 2011

Theodor Fontane übers Romanschreiben

(…) Heute haben Sie mir einen wirklichen Dienst geleistet und ich konnte Ihnen beinah Punkt für Punkt zustimmen. Die wichtigsten Punkte schienen mir folgende zu sein:

1. man muß die Dinge nicht zu gut machen wollen; das giebt nur Unfreiheit und Peinlichkeit;

2. man muß nicht alles sagen wollen, dadurch wird die Phantasie des Lesers in Ruhestand gesetzt und dadurch wieder wird die Langeweile geboren.

3. Man muß Vordergrunds- Mittelgrunds- und Hintergrunds-Figuren haben und es ist ein Fehler wenn man alles in das volle Licht des Vordergrundes rückt.

4. Die Personen müssen gleich bei ihrem ersten Auftreten so gezeichnet sein, daß der Leser es weg hat, ob sie Haupt- oder Nebenpersonen sind. Auf das räumliche Maß der Schildrung kommt es dabei nicht an, sondern auf eine gewisse Intensität, die den Fingerzeig giebt.

Alle diese Punkte sind wichtig und das Hervorheben derselben enthält einen begründeten Hinweis auf vorhandene Schwächen. Ob ich es, da das Ganze fertig in mir lebt, hier und da noch ändern kann, ist freilich eine andre Frage. Das Ganze (womit ich mich nicht rechtfertigen will) ist mehr oder weniger auf eine derartige Behandlung hin angelegt.

Und darüber sei mir noch ein Wort gestattet. Ich habe mir nie die Frage vorgelegt: soll dies ein Roman [Vor dem Sturm: Roman aus dem Winter 1812 auf 13, jmw] werden? und wenn es ein Roman werden soll, welche Regeln und Gesetze sind inne zu halten? Ich habe mir vielmehr vorgenommen, die Arbeit ganz nach mir selbst, nach meiner Neigung und Individualität zu machen, ohne jegliches bestimmte Vorbild; selbst die Anlehnung an Scott betrifft nur ganz Allgemeines. Mir selbst und meinem Stoffe möchte ich gerecht werden. Ohne Mord und Brand und große Leidenschaftsgeschichten, hab ich mir einfach vorgesetzt eine große Anzahl märkischer (d. h. deutsch-wendischer, denn hierin liegt ihre Eigenthümlichkeit) Figuren aus dem Winter 12 auf 13 vorzuführen, Figuren wie sie sich damals fanden und im Wesentlichen auch noch jetzt finden. Es war mir nicht um Conflikte zu thun, sondern um Schilderung davon, wie das große Fühlen das damals geboren wurde, die verschiedenartigsten Menschen vorfand und wie es auf sie wirkte. Es ist das Eintreten einer großen Idee, eines großen Moments in an und für sich sehr einfachem Lebenskreise. Ich beabsichtige nicht zu erschüttern, kaum stark zu fesseln, nur liebenswürdige Gestalten, die durch einen historischen Hintergrund gehoben werden, sollen den Leser unterhalten, wo möglich schließlich seine Liebe gewinnen; aber ohne allen Lärm und Eklat. Anregendes, heiteres, wenn's sein kann geistvolles Geplauder, ist die Hauptsache an dem Buch. Dies hervorzubringen meine größte Mühe. Daher zum Theil auch die ewigen Correkturen, weil nicht die Dinge sachlich, sondern durch ihren Vortrag wirken. (…)

Fontane an seinen Verleger Wilhelm Hertz am 17. 6 1866.

(Theodor Fontane: Werke, Schriften und Briefe. Hanser 1979, S. 162)

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