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Montag, 3. Oktober 2011

Goethe über Dilettantismus


Ueber den sogenannten Dilettantismus*
oder
die praktische Liebhaberei in den Künsten
Einleitendes und Allgemeines
Die Italiäner nennen jeden Künstler Maestro.
Wenn sie einen sehen, der eine Kunst übt, ohne davon Profession zu machen, sagen sie: Si diletta. …
Das Wort Dilettante findet sich nicht in der ältern italiänischen Sprache. …
Bei Jagemann allein findet sich’s. Nach ihm bedeutet es einen Liebhaber der Künste, der nicht allein betrachten und genießen, sondern auch an ihrer Ausübung Theil nehmen will. …
Indem wir von Dilettanten sprechen, so wird der Fall ausgenommen, daß einer mit wirklichem Künstlertalent geboren wäre, aber durch Umstände wäre gehindert worden, es als Künstler zu excoliren.
Wir sprechen bloß von denen, welche, ohne ein besonderes Talent zu dieser oder jener Kunst zu besitzen, bloß den allgemeinen Nachahmungstrieb bei sich walten lassen.
Ueber das deutsche Wort pfuschen. …
Bezieht sich auf Handwerk. …
Die verschiedenen Nationen haben kein eigentlich Wort dafür. …
Der Dilettant verhält sich zur Kunst, wie der Pfuscher zum Handwerk.
Man darf bei der Kunst voraussetzen, daß sie gleichfalls nach Regeln erlernt und gesetzlich ausgeübt werden müsse, obgleich diese Regeln nicht, wie die eines Handwerks, durchaus anerkannt und die Gesetze der sogenannten freien Künste nur geistig und nicht bürgerlich sind. …
Der Mensch erfährt und genießt nichts, ohne sogleich productiv zu werden.
Dieß ist die innerste Eigenschaft der menschlichen Natur. Ja man kann ohne Uebertreibung sagen, es sey die menschliche Natur selbst.
Unüberwindlicher Trieb dasselbige zu thun.
Nachahmungstrieb deutet gar nicht auf angeborenes Genie zu dieser Sache. …
Sie nehmen sich ein unerreichbares Ziel vor, das sie durch geübte und verständige Akte haben erreichen sehen.
Ihre Mittel werden Zweck. …
Alle Dilettanten greifen die Kunst von der schwachen Seite an. (Vom schwachen Ende.)
Phantasie-Bilder unmittelbar vorstellen zu wollen.
Leidenschaft statt Ernst.
Verhältniß des Dilettantismus gegen Pedantismus, Handwerk.
Dilettantischer Zustand der Künstler. …
Geborne Künstler, durch Umstände gehindert sich auszubilden, sind schon oben ausgenommen.
Manche Dilettanten bilden sich ein dergleichen zu seyn.
Bei ihnen ist aber nur eine falsche Richtung, welche mit aller Mühe zu nichts gelangt.
Sie nutzen sich, dem Künstler und der Kunst wenig.
Sie schaden dagegen viel. …
Dilettantismus setzt eine Kunst voraus, wie Pfuschen das Handwerk. …
In allen Künsten giebt es ein Objectives und Subjectives, und je nachdem das eine oder das andere darin die hervor-stechende Seite ist, hat der Dilettantismus Werth oder Unwerth.
Wo das Subjective für sich allein schon viel bedeutet, muß und kann sich der Dilettant dem Künstler nähern; z.B. schöne Sprache, lyrische Poesie, Musik, Tanz.
Wo es umgekehrt ist, scheiden sich der Künstler und Dilettant strenger, wie bei der Architektur, Zeichenkunst, epischen und dramatischen Dichtkunst. Die Kunst giebt sich selbst Gesetze und gebietet der Zeit.
Der Dilettantismus folgt der Neigung der Zeit.
Wenn die Meister in der Kunst dem falschen Geschmack folgen, glaubt der Dilettant desto geschwinder auf dem Niveau der Kunst zu seyn.
Weil der Dilettant seinen Beruf zum Selbstproduciren erst aus den Wirkungen der Kunstwerke auf sich empfängt, so verwechselt er diese Wirkungen mit den objectiven Ursachen und Motiven und meint nun den Empfindungszustand in den er versetzt ist, auch productiv und praktisch zu machen; wie wenn man mit dem Geruch einer Blume die Blume selbst hervorzubringen gedächte.
Das an das Gefühl Sprechende, die letzte Wirkung aller poetischen Organisationen, welche aber den Aufwand der ganzen Kunst selbst voraussetzt, sieht der Dilettant als das Wesen derselben an und will damit selbst hervorbringen.
Überhaupt will der Dilettant in seiner Selbstverkennung das Passive an die Stelle des Activen setzen, und weil er auf eine lebhafte Weise Wirkungen erleidet, so glaubt er mit diesen erlittenen Wirkungen wirken zu können. …
Der wahre Künstler steht fest und sicher auf sich selbst; sein Streben, sein Ziel ist der höchste Zweck der Kunst. Er wird sich immer noch weit von diesem Ziele finden und daher gegen die Kunst oder den Kunstbegriff nothwendig allemal sehr bescheiden seyn und gestehen, daß er noch wenig geleistet habe, wie vortrefflich auch sein Werk seyn mag und wie hoch auch sein Selbstgefühl im Verhältniß gegen die Welt steigen möchte. Dilettanten oder eigentlich Pfuscher, scheinen im Gegentheil nicht nach einem Ziele zu streben, nicht vor sich hin zu sehen, sondern nur das was neben ihnen geschieht. Darum vergleichen sie auch immer, sind meistens im Lob übertrieben, tadeln ungeschickt, haben eine unendliche Ehrerbietung vor ihres Gleichen, geben sich dadurch ein Ansehen von Freundlichkeit, von Billigkeit, indem sie doch bloß sich selbst erheben. … (In Goethe's Werke in 40 Bänden, Bd. 31, S. 422ff.)

Dilettantismus in der pragmatischen Poesie
Ursache, warum der Dilettant das Mächtige, Leidenschaftliche, Starkcharakteristische haßt und nur das Mittlere, Moralische darstellt.
Der Dilettant wird nie den Gegenstand, immer nur sein Gefühl so über den Gegenstand schildern.
Er flieht den Charakter des Objects.
Alle dilettantischen Geburten in dieser Dichtungsart werden einen pathologischen Charakter haben und nur die Neigung und Abneigung ihres Urhebers ausdrücken.
Der Dilettantismus glaubt mit dem Witz an die Poesie zu reichen.
Dramatische Pfuscher werden bis zum Unsinn gebracht, um ihr Werk auszustellen. (S. 434)

*Näheres dazu siehe http://de.wikipedia.org/wiki/%C3%9Cber_den_Dilettantismus

Allgemeines Schema zum Dilettantismus in der Handschrift Schillers, mit Anmerkungen Goethes
Foto: Wikipedia

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