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Montag, 27. Dezember 2010

Gedanken über ein Weihnachtsbäumlein und ein Schreibtippchen


Als ich neulich nach weiteren Weihnachtsgedichten für meinen Schreibblog suchte, fand auch das »Weihnachtsbäumlein« von Christian Morgenstern:

Es war einmal ein Tännelein
mit braunen Kuchenherzlein
und Glitzergold und Äpflein fein
und vielen bunten Kerzlein:
Das war am Weihnachtsfest so grün
als fing es eben an zu blühn.

Doch nach nicht gar zu langer Zeit,
da stand’s im Garten unten,
und seine ganze Herrlichkeit
war, ach, dahingeschwunden.
Die grünen Nadeln war’n verdorrt,
die Herzlein und die Kerzlein fort.

Bis eines Tags der Gärtner kam,
den fror zu Haus im Dunkeln,
und es in seinen Ofen nahm -
hei! tat's da sprühn und funkeln!
Und flammte jubelnd himmelwärts
in hundert Flämmlein an Gottes Herz.

Ich freute mich, las es, wollte es einstellen, las es noch einmal, googelte (man kann ja nie wissen – mehr dazu hier und hier) und dachte: Nanu, Christian Morgenstern spricht von »Tännelein“ und »Äpflein« und »Flämmlein«, gar vom »Kuchenherzelein«? Das passt doch gar nicht zu ihm. Ob das wohl eine Parodie sein soll auf all die Kinderlein, die kommen, die Schneeflöckchen, Weißröckchen, das Vöglein, das ich meine, überhaupt auf all die Kinderlieder, in denen es von …leins und …chens, all den Verkleinerungsformen, zu gut Lateinisch Diminutiva (Plural von Diminutiv – auch Deminutiv –; von lat. deminuere: verkleinern, vermindern, schwächen) nur so wimmelt?

Wie auch immer: Da Morgensterns Spiel mit der Sprache ein so schönes Beispiel für diese Wörtchen ist, konnte ich es mir nicht versagen, dazu etwas zu schreiben. – Ja, ich weiß, auch Goethe spricht in den Leiden des jungen Werther von  »Gräschen« und den »unzähligen unergründlichen Gestalten, all der Würmchen, der Mückchen« (in älteren Ausgaben »Würmlein« und »Mücklein«, aber inzwischen ist die Ableitungssilbe -chen eher gebräuchlich). Und ja, Matthias Claudius lässt »die Sternlein prangen«, auch wenn er sein Gedicht mit einem simplen Protokollsatz  beginnt: »Der Mond ist aufgegangen«. Aber seither hat sich der Stil gewandelt. Auch wenn das Buch und das Gedicht Meisterwerke sind, wirken diese Wörter heute altertümlich, um nicht zu sagen kitschig.

Darüber, warum Goethe in seinem Gedicht Ein Gleiches, besser bekannt als Wandrers Nachtlied – mehr dazu siehe hier –, dem berühmtesten und schönsten Gedicht der deutschen Sprache überhaupt, von den Vögelein, die schlafen, spricht, werde ich noch etwas schreiben. Vielleicht ist es ein Übertragungsfehler, wie es sie auch schon vor den Zeiten des Internets gab. Nebenbei: Alle vier Versionen des Weihnachtsbäumleins, die ich las, waren unterschiedlich, entweder gab es Rechtschreibfehler, wurden die Verse falsch zu Strophen geordnet oder gleich ganz neue Wörter eingefügt. (Über derartige Fehler habe ich in meinem Blogbeitrag Warum die Verletzung des Urheber- und Zitatrechts kein Kavaliersdelikt ist. I  ausführlich geschrieben.) –

Denken Sie also in Zukunft bitte, wenn Sie Verniedlichungen wie Vögelein, Blümelein oder Kindlein schreiben, an Christian Morgenstern und löschen Sie sie, auch wenn Sie ein Märchen oder eine Kindergeschichte schreiben. Solche Wörter zerstören jeden gut geschriebenen Text (nicht grundlos bedeutet deminuere auch – schwächen).

Die Erzählstimme sollte auch nicht vom Bettchen, in dem das Söhnchen Mäxchen mit einem müden Gesichtchen liegt, die Händchen an die Äugelein gedrückt, sprechen. Das Mäxchen lächelt nicht seine Mama an, sondern die Mutter, denn solchen Koseformen gehören einer familiären Ausdrucksweise an.

Das gilt für alle Texte, in denen Sie über Ihre Kindheit aus der Erwachsenenperspektive erzählen. Bezeichnen Sie Ihre Eltern also nicht mit Mutti (oder gar Mami) und Vati (Papi) , sondern wählen Sie die neutrale Form. Nicht: Meine Mutti erzählte mir jeden Abend eine Gute-Nacht-Geschichte, sondern Mutter erzählte mir … Nicht: Mein Opi konnte geschickt mit dem Schnitzwerkzeug umgehen, sondern Großvater schnitzte mir aus Wurzeln, die wir beim Wandern fanden, Trolle und Hexen (womit auch gleich die Regel des Zeigen, nicht informieren beachtet wird). Anders ist es natürlich, wenn Sie aus der Perspektive eines Kindes erzählen und im Dialog.

Und hm – seien Sie vorsichtig mit dem Wort Spielchen: Sie werten damit ab, wenn Sie nicht gar moralisieren, oder erreichen unabhängig vom Inhalt eine andere Wirkung, als Sie beabsichtigt hatten. Was Sie zum Beispiel mit Sexspielchen bezeichnen, kann für Ihre Leser ein normales Liebesspiel sein.

wird fortgesetzt
 
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