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Freitag, 5. Juni 2009

Die ungeliebte Arbeit: Überarbeiten und Feilen. II


Stil lebt vom Opfer

Neuschreiben ist das ganze Geheimnis des Schreibens. (Mario PUZO)*

Zwei Dinge sind zu unserer Arbeit nötig: Unermüdliche Ausdauer und die Bereitschaft, etwas, in das man viel Zeit und Arbeit gesteckt hat, wieder wegzuwerfen. (Albert EINSTEIN)

THOMA beschwert sich über GANGHOFER: »Er sagt immer alles. Er hat es nie gelernt, daß man als Schriftsteller von zehn beabsichtigten Worten nur eines schreiben darf und nicht elf.« Mit jedem weggelassenen Wort findet der Autor einen Leser mehr, doch die meisten Schreiber lieben jedes Wort, das sie geschrieben haben. So auch Anna RHEINSBERG: »Am Anfang meinte ich, jeder alberne Satz wär’ das Naturereignis, ich bin die Königin. Man wird dann vorsichtiger, man nimmt sich nicht mehr so ernst.«

So mancher Schriftsteller musste zähneknirschend erleben, wie seine Texte, die er anderen Schriftstellern zum Lesen gab, erbarmungslos zusammengestrichen wurden. BRECHT zum Beispiel unterstrich in Ingeborg BACHMANNS Gedichtband Die gestundete Zeit alles, was ihm gefiel, fliederrot. Das, was er nicht unterstrichen hatte, musste weg. Die fünfzig Verse des Gedichts Thema und Variation strich er auf fünf zusammen (nur die erste Strophe und den ersten Vers der achten ließ er gelten!):
In diesem Sommer blieb der Honig aus.
Die Königinnen zogen Schwärme fort,
der Erdbeerschlag war über Tag verdorrt,
die Beerensammler kehrten früh nach Haus.
Unten im Dorf standen die Eimer leer.
– Sie hätte die Gedichte Brecht geben sollen, bevor sie sie veröffentlichte. –

T. S. ELIOT dagegen überarbeitete das wüste Land zunächst selbst und strich es per »Kaiserschnitt«, wie sein Biograf Peter ACKROYD schreibt, auf neunzehn Seiten zusammen. Aber dann gab er es Ezra POUND. Der sagte »Complimenti, du Hundesohn. Ich bin von allen sieben Eifersüchten geplagt« und kürzte es von achthundert auf vierhundertdreiunddreißig Verse. Der dankbare Eliot widmete es ihm mit den Worten: »For Ezra Pound, il miglior fabbro« – dem besseren Schmied.

GOETHE wiederum wurmte, dass GELLERT an seinen poetischen Versuchen, die er – wie wohl jeder Dichter – voll Leidenschaft geschrieben hatte, kaum ein gutes Haar ließ und fast jede Zeile mit roter Tinte korrigierte und mit Randbemerkungen versah. Er warf die Arbeiten – die er für seine besten hielt – in den Herd.
Die Enttäuschung über seine Versuche verarbeitete GOETHE in einem – natürlich – Gedicht:
Ganz and’re Wünsche steigen jetzt als sonst,
Geliebter Freund, in meiner Brust herauf.
Du weißt, wie sehr ich mich zur Dichtkunst neigte,
Wie großer Hass in meinem Busen schlug,
Mit dem ich die verfolgte, die sich nur
Dem Recht und seinem Heiligtum weihten,
Und nicht der Musen sanften Lockungen
Ein offnes Ohr und ausgestreckte Hände
Voll Sehnsucht reichten. Ach, du weißt, mein Freund,
Wie sehr ich (und gewiss mit Unrecht) glaubte,
Die Muse liebte mich und gäb’ mir oft
Ein Lied. Es klang von meiner Leier zwar
Manch stolzes Lied, das aber nicht die Musen
Und nicht Apollo reichten. Zwar mein Stolz,
Der glaubt’ es, dass so tief zu mir herab
Sich Götter niederließen, glaubte, dass
Aus Meisterhänden nichts Vollkommners käme,
Als es aus meiner Hand gekommen war.
Ich fühlte nicht, dass keine Schwingen mir
Gegeben waren, mich empor zu rudern,
Und auch vielleicht mir von der Götter Hand
Niemals gegeben werden würden. Doch
Glaubt’ ich, ich hab’ sie schon und könnte fliegen.
Allein kaum kam ich her, als schnell der Nebel
Vor meine Augen sank, als ich den Ruhm
Der großen Männer sah, und erst vernahm,
Wie viel dazu gehörte, Ruhm erwerben,
Da sah ich erst, dass mein erhabner Flug,
Wie es mir schien, nichts war, als das Bemühen
Des Wurms im Staub, der den Adler sieht
Zur Sonn’ sich schwingen – – – –
Die Re-Writerin Marcy KAHAN, die schlechte Drehbücher so umschreibt, dass sie verfilmt werden können, schreibt hin und wieder ein Hörspiel oder ein Drehbuch und bearbeitet sie selbst. Sie sagte einmal:
Auch, wenn du sehr lange in diesem Metier arbeitest, es tut immer noch weh, auch nur eine Zeile von dir selbst rauszuschmeißen. Nie weiß ich, was ich herausnehmen oder was ich doch besser stehen lassen sollte. Eines Tages jammerte ich das meiner Redakteurin vor. Die lachte und gab mir den Tip: Marcy, kill your darling! Nimm immer das heraus, was dir ganz persönlich am Herzen liegt, denn deine Hörer haben andere Herzen. – Richte dich nach dem Text, das ist die eigentliche Arbeit. Dichten ist kürzen. Und dazu gehört ein Mindestmaß an Mordlust.
– Kleine Anmerkung: Ich kenne den Ausdruck kill your darlings aus US-amerikanischen Schreibschulen. Dort bedeutet er allerdings, dass man seinen Lieblingsfiguren kein Happyend gönnen solle, weil das meist kitschig und voller Klischees ist. Wie auch immer: So oder so sollte man den Rat beherzigen. –

Und HORAZ erinnert an QUINTILIUS:
Wenn du Quintilius etwas vortrugst, sagte er wohl. »Verbessere bitte dies hier und dies.« Behauptetest du, du könntest besser nicht machen, was du zwei- oder dreimal vergeblich versucht hättest, so hieß er dich, es zu vernichten und die schlecht gedrechselten Verse zurück auf den Amboß zu legen. Wenn du den Fehler lieber verteidigen als ihn ausmerzen wolltest, verschwendete er kein Wort und keine fruchtlose Mühe, damit du dich und das Deinige nur ruhig liebtest, allein und ohne Rivalen. (Mehr dazu siehe http://juttas-schreibtipps.blogspot.com/2008/12/schreibtipp-von-horaz-vi.html)
Stellen Sie sich vor, Sie möchten eine Kurzgeschichte mit neuntausend Zeichen bei einem Literaturwettbewerb einreichen, bei dem höchstens sechstausend Zeichen vorgeschrieben sind. Also müssen Sie kürzen: Sie müssen aus langen Sätzen kürzere Sätze bilden und Wörter streichen. Manchmal geht es um wenige Buchstaben. (Das ist auch eine gute Übung, um treffendere Wörter zu finden.) Vertrauen Sie mir: Ihr gekürzter Text wird Ihnen viel besser gefallen. Mit der Zeit werden Sie (hoffentlich) mit Leidenschaft kürzen.

In einer Internetschreibwerkstatt, die ich einige Zeit leitete, gab ich einen Text mit siebentausend Zeichen (einschließlich Leerzeichen) vor. Die Aufgabe löste einen allgemeinen Aufschrei aus: Es sei unmöglich, das, was man sagen wolle, auf so wenige Zeichen zu beschränken. Doch bei jedem Text, dessen Autor die Zeichenvorgabe beklagt hatte, ließen sich Adjektive, Füllwörter und unwichtige Passagen streichen.

Gerade der Anfänger hat oft Probleme, sich auf das Wesentliche zu beschränken – aber er kann das lernen. Vor allem lernt er das durch Üben und durch das Besprechen von Texten in Schreibwerkstätten.

Literatur bedeutet auch streichen, verknappen, auf das Wesentliche verdichten. Wenn Ihr Text nach dem Überarbeiten länger ist, haben Sie etwas falsch gemacht

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