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Donnerstag, 4. Juni 2009

Die ungeliebte Arbeit: Überarbeiten und Feilen. I


Alles Eigene gefällt, solange es im Entstehen begriffen ist. Deshalb müssen
wir immer wieder mißtrauisch überprüfen, was wir fertiggestellt haben. (QUINTILIAN)

Der erste Entwurf ist immer Mist. (HEMINGWAY)
Ferdinand radiert

Ferdinand nimmt eine leere Seite
und denkt nach und schreibt dann eine Sorte
wohlgeformter, ungenauer Worte,
insgesamt gesehen, eine Pleite.

Auf dem Blatt, an beinah jedem Orte
– mithin also fast in jeder Zeile –
stören Kommas oder andre Teile,
Ferdinand bemerkt’s, sich selbst zum Torte.

Und er spricht: Wenn ich hier weiter weile
und das Ganze ganz in Ruh betrachte,
merke ich, wie ich mich drob verachte,

doch was soll ich tun? Na gut, ich feile
und radiere, füge zu und schreite
durch des Raumes angenehme kühle Weite.

Bernd HUTSCHENREUTHER
Klare Sätze sind kein Zufall

Schreiben ist die perfekte Zusammenarbeit von Hirn und Hintern. (SCHILLER)

Hirn ist gut, Hintern ist besser. (Uta GLAUBITZ)

Ach, Schreiben bedeutet nicht nur für Ferdinand harte Arbeit … Die erste Fassung ist niemals die richtige, auch wenn Ihnen Ihr Werk gefällt und Sie meinen, es sei aus einem Guss und Sie den »Genius zwischen den Zeilen« (GLAUBITZ) vermuten. Auch große Schriftsteller betrachten das Ganze in Ruhe und seufzen »Na gut« und radieren und fügen hinzu, und das nicht nur einmal. Trösten Sie sich damit, wenn Sie beim Feilen verzweifeln oder einen Horror davor haben, Ihre Arbeit noch einmal und noch einmal zur Hand zu nehmen und sich noch einmal auseinanderzusetzen mit den schwachen Teilen, den wohlgeformten, ungenauen Worten, den umständlich formulierten Sätzen. Für William C. KNOTT ist »das Überarbeiten … wie der Ringkampf mit einem Dämon«, aber kaum einer, der schreiben kann, käme drum herum, denn »nur Schriftsteller wissen, wie man einen Text umschreibt. Diese Fähigkeit allein macht den Amateur zum Profi«.

FLAUBERT rät Louise COLET:
Vernachlässigen Sie nichts, arbeiten Sie, schreiben Sie neu und lassen Sie das Werk erst aus der Hand, wenn Sie die Überzeugung haben, daß Sie es zu dem Grad von Vollkommenheit gebracht haben, den ihm zu geben Ihnen möglich war.
Für Erich FRIED steckt
… im schnellen Schreiben und erst nachher gewissenhaft Korrigieren eine Art Respekt und Vertrauen gegenüber seinem ursprünglichen Einfall … und daß … (ist) sehr gut, weil dann die Einfälle nicht so leicht austrocknen wie bei einem Menschen, der seinen eigenen Einfällen gegenüber respektlos ist und ihnen ausbeuterisch gegenübersteht.
FLAUBERT und FRIED waren Genies. War es ihr Genie, das sie zwang, hart zu arbeiten, oder waren ihre Werke das Ergebnis ihrer harten Arbeit?

Die mühevolle Arbeit des Feilens kann Ihnen kaum jemand abnehmen. Verlage lehnen aus Kostengründen Manuskripte, die eine umfangreiche Überarbeitung erfordern, meist ab. Und gute Lektoren sind teuer. Auch Redakteure von Literaturzeitschriften, die meist ehrenamtlich arbeiten, sind nicht dazu da, Ihnen den Feinschliff abzunehmen.

Nonumque premator in annum …

Zum Handwerk des Dichters gehören zwei Bewegungsabläufe, die stures Training verlangen: Schreiben und Streichen. (Jo LENDLE)

Das Schwierigste am Sammeln ist das Wegwerfen. (KÖSTER)

… »dann sei’s neun Jahre verborgen« schreibt HORAZ in seiner Ars Poetica (Von der Dichtkunst). Er soll damit auf den Lyriker CATULL angespielt haben, der über den Dichter CINNA spottete: »Die Zmyrna meines Freundes Cinna wurde 9 Jahre nach ihrem Beginn endlich veröffentlicht. Während in der selben Zeit Hortensius in jedem beliebigen Jahr 50000 Verse herausgebracht hat.

Das zu beherzigen, ist jedoch zuviel verlangt, wie auch HEINE feststellt:
Als Horaz dem Autor die berühmte Regel gab, sein Werk neun Jahre im Pult liegen zu lassen, hätte er ihm auch zu gleicher Zeit das Rezept geben sollen, wie man neun Jahre ohne Essen zubringen kann. Wir unglücklichen Spätgeborenen, wir leben in einer anderen Zeit. Ich komme wieder auf die Horazische Regel und ihre Unanwendbarkeit im neunzehnten Jahrhundert, ich könnte es keine vierundzwanzig Stunden, viel weniger neun Jahre aushalten, mein Magen hat wenig Sinn für Unsterblichkeit, ich hab’ mir’s überlegt, ich will nur halb sterblich und ganz satt werden, man muß Geld in dieser Welt haben, Geld in der Tasche und nicht Manuskripte im Pult.
Aber lassen Sie Ihren Text zumindest ein paar Wochen liegen. Danach können Sie zum Rotstift greifen oder besser noch zum Bleistift. Denn Sie werden nicht nur einmal korrigieren, sondern Ihre Korrekturen prüfen und wieder korrigieren und wieder prüfen und wieder korrigieren. Bei der Verwendung eines Kugelschreibers oder Füllers entsteht aus Korrekturen der Korrekturen, aus Durchstreichungen, aus deren Rückgängigmachen mit Pünktchen, aus Einfügungen von Wörtern in eingefügte Sätze ein Chaos, durch das Sie nicht mehr durchblicken. –

Streichen Sie all die überflüssigen Wörter, Sätze und Absätze, die sich trotz aller Bemühungen eingeschlichen haben. – »Wenn es möglich ist, ein Wort zu streichen – streiche es«, rät auch ORWELL. Ihre Worte sind nicht in Stein gemeißelt, lassen Sie jedes Wort um seine Berechtigung kämpfen. »Da ich keine Zeit habe, dir einen kurzen Brief zu schreiben, schreibe ich dir einen langen«, schreibt GOETHE im Alter von achtzehn Jahren seiner Schwester Cornelia. (Er hatte diesen Satz in einem Briefwechsel zwischen CATO und CICERO gelesen. Viele Aussprüche unserer Klassiker sind nicht auf deren »eigenem Mist gewachsen« – wie tröstlich für uns.) Und Martin WALSER sagt, als der Lebenslauf der Liebe gedruckt auf seinem Schreibtisch lag, habe er ihn aufgeschlagen und auf irgendeiner Seite den ersten Satz angeschaut und sich gefragt: Steht der zu Recht da?

Nehmen Sie Träume, in denen Ihr Manuskript oder Abschnitte daraus als missglückt erscheinen, ernst, auch wenn Sie beim Aufwachen feststellen: Träume sind Schäume, und weiterhin begeistert Ihr Werk lesen. Sie werden der einzige sein, der es begeistert liest. Ihr Unterbewusstsein will Ihnen auf diese Weise sagen, dass Sie an Ihrem Werk oder an den Abschnitten feilen sollen.

Wenn Sie unsicher sind, ob Sie ein Wort, einen Satz oder Absatz streichen sollen – verlassen Sie sich auf Ihr Gefühl und streichen Sie

Gerade der Anfänger leidet, wenn er sich von Wörtern, von mit soviel Mühe und noch mehr Liebe formulierten Sätzen, von seiner Meinung nach gelungenen Passagen trennen muss. Doch mit der Zeit findet er die nötige Distanz zu seinen Texten. Auch ich habe das Buch, aus dem dieser Beitrag stammt, vielfach überarbeitet, ich habe gestrichen und hinzugefügt und wieder gestrichen. Ich habe versucht, für meine ach zu häufig verwendeten Lieblingswörter selten gebrauchte Ausdrücke zu finden, habe Füllwörter gestrichen, Passiv in Aktiv umgewandelt, Substantive in Verben (und umgekehrt, wenn mir das Substantiv stärker erschien), den Plural in das Singular. Ich haben Hilfsverben ausgemerzt, Wendungen aus der Umgangssprache in Hochsprache umgewandelt. Doch ich habe mich bemüht, meine eigene Stimme zu behalten und keinen zu glatt polierten Text zu schreiben, und mir deshalb erlaubt, die Schreibregeln hin und wieder zu brechen. Was nützt mir ein ausgefeilter, nach allen Regeln der rhetorischen Kunst ausgearbeiteter Text, wenn Sie ihn ungern lesen, weil er zu hochgestochen klingt und dadurch langweilig oder unverständlich wird? Das Feilen hat mindestens dreifach soviel Arbeit gemacht wie das Schreiben und mindestens dreimal so lange gedauert. Es hat viel Geduld erfordert – aber auch am meisten Spaß gemacht, und oft bin ich dabei wie Ferdinand durch des Raumes angenehme kühle Weite geschritten.

Trösten Sie sich, kaum ein Manuskript ist auf Anhieb perfekt. HORAZ ärgert sich in der Ars poetica, dass Homer manchmal schläft (womit er meint, dass Homer sprachlich und dichterisch hin und wieder nicht so gut ist wie gewohnt). »Quandoque bonus domitat Homerus« (frei übersetzt: Dann und wann schläft sogar der gute Homer) ist sprichwörtlich geworden dafür, dass auch der beste Schriftsteller schwächere Momente hat. Selbst bei GOETHE würde ein Lektor immer noch einiges ändern.

Wie schreibt Gottfried KELLER so schön:
Es gehört ein Raffael dazu, jeden Strich stehen lassen zu können, wie er ist. Wie manche Blume, die man in aufgeregter Abendstunde glaubt gepflückt zu haben, ist am Morgen ein dürres Strohwisch! wie manches schimmernde Goldstück, welches man am Werktage gefunden, verwandelt sich an einem stillen Sonntagmorgen, wo man es wieder besehen will, in eine gelbe Rübenschnitte! Man erwacht in der Nacht und hat einen sublimen Gedanken und freut sich seines Genies, steht auf und schreibt ihn auf bei Mondschein, im Hemde, und erkältet die Füße: und siehe, am Morgen ist es eine lächerliche Trivialität, wo nicht gar ein krasser Unsinn! Da heißt es aufpassen und jeden Pfennig zweimal umkehren, ehe man ihn ausgibt!
Bei einem literarischen Text muss sich jedes Wort, jedes Bild, darauf abklopfen lassen, ob es richtig, notwendig und klar ist

Barbara SLAWIG erzählt von ihren Erfahrungen mit dem Feilen:
Es mag Leute geben, denen ihre Texte gleich beim ersten Aufschreiben so gut gelingen, dass höchstens noch ein bisschen an Rechtschreibung und Grammatik korrigiert werden muss. Meine ersten Entwürfe sind immer lückenhaft und voller Brüche. Beim Überarbeiten finde ich es vor allem wichtig, dass man nicht versucht, inhaltliche Schwächen auf der sprachlichen Ebene zu beheben. Bevor ich ans Überarbeiten gehe, muss ich mir über die wichtigsten inhaltlichen und erzähltechnischen Fragen vollkommen klar sein. (Also z. B.: Aus welcher Perspektive erzähle ich? Welches ist der Haupt-Spannungsbogen, welches sind eher Nebenstränge? Werde ich meinen Personen gerecht, oder verrate ich sie irgendwo? Stimmt der Schluss, oder ist etwas daran verlogen? usw.) Um das alles beurteilen zu können, brauche ich natürlich einen gewissen Abstand zum Text, das heißt, ich lasse ihn mindestens eine Woche liegen (bei längeren Texten länger). Wenn die inhaltlichen Fragen geklärt sind, wende ich mich stärker der Sprache zu und suche nach schwachen oder überflüssigen Sätzen, nach Sprachklischees, ungewollten Wiederholungen etc. … Natürlich ist Überarbeiten mühsam, aber halb fertige, nicht durchgearbeitete Texte sind in meinen Augen eine traurige Verschwendung von Zeit und Ideen.
Vergleichen Sie das, was Sie geschrieben haben, mit dem, was Sie schreiben wollten

Eine (seltene) Gefahr besteht jedoch: dass Sie zu viel streichen und dadurch den Leser verwirren oder verständnislos zurücklassen. REICH-RANICKI moniert in HEYMS 5 Tage im Juni: »Die Zahl der Personen ist übermäßig groß, was damit zusammenhängen mag, daß die ursprüngliche Fassung etwa doppelt so umfangreich war wie die endgültige.«

Prüfen Sie nach dem Kürzen, ob jede Figur weiterhin wichtig für den Text ist

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