In der Postzeitung vom 16. Juni 1857 heißt es: »Die Königin war durch die Zeitschrift N. N. auf die Mängel einer Kirche und einer Schule in zwei Gemeinden hingewiesen«, – hiebei wird nun Jeder denken, die besagten Anstalten wären fehlerhaft gewesen; – aber aus dem Sinn geht hervor, daß Ermangelung gemeint ist. Daß deutsche Zeitungen elendes, fehlerhaftes Deutsch schreiben, ist alltäglich und keiner Erwähnung werth: aber wir haben hieran ein rechtes Muster-Beispiel und Prototyp der Folgen der Silbenknickerei und Buchstabenzählerei, und darum führe ich es an: denn nicht nur ist etwas Anderes gesagt, als gemeint war; sondern indem jetzt, dieser Sprachökonomie gemäß, zwei disparate Begriffe durch das selbe Wort bezeichnet werden, wird die Sprache der Verarmung entgegengeführt: von zwei Worten, welche sie zur Bezeichnung zweier Begriffe hatte, wird ihr nur Eines, natürlich das kürzere, gelassen, welches jetzt für beide dienen soll, wobei denn der Leser jedes Mal rathen mag, was gemeint sei. Und so verfahren unsre nichtswürdigen Sprachverbesserer in 100 Fällen. –
Ihr Treiben besteht größten Theils darin, daß sie von zwei verwandten Worten das längere ausstoßen und es überall durch das kürzere vertreten lassen, wenn gleich dieses nicht eigentlich das Selbe, sondern nur etwas Aehnliches besagt; – wodurch die Sprache verarmt und die Möglichkeit, einen Gedanken genau und dadurch treffend, scharf und prägnant auszudrücken, uns in vielen Fällen benommen wird. –
Statt Scharfsinn schreiben sie »Schärfe«; als ob nicht die Schärfe und der Scharfsinn eines Urtheils gar weit verschiedene Dinge wären. Aber sie sind nur bedacht, das selbe Wort, bloß weil es kürzer, als die ihm verwandten ist, der Bezeichnung zweier, dreier und mehrerer Begriffe dienen zu lassen; wodurch sie die Sprache theils matt und stumpf, theils durchweg zweideutig machen. Welches Epitheton gebührt ihnen? –
Statt »achtungswerth« schreiben sie, aus niederträchtiger Buchstabenknickerei, »achtbar«, welches viel weniger besagt, indem es sich verhält, wie sichtbar zu sehenswerth, und überdies ein Spießbürger-Ausdruck ist. – Sie aber sagen: »wir werfen jedes Wort zur Sprache hinaus, welches durch ein anderes, um 2 Buchstaben kürzeres, wenn dieses auch schon eine andere Bedeutung hat, doch so ungefähr, wenn auch schief und schielend, mit vertreten werden kann«: wenn auch dadurch die Sprache immer ärmer und unbestimmter wird; so wird sie dafür auch immer kürzer, am Ende so kurz, daß man gar nicht mehr weiß, was gesagt seyn soll, sondern die Wahl behält zwischen allerlei Bedeutungen. –
»Bedauerlich«, statt bedauernswerth, ist falsch: ersteres besagt »was man bedauern kann«, wenn man Lust hat; dieses was verdient bedauert zu werden.
»Billig«, statt wohlfeil, ist so falsch und gemein, wie es allgemein ist.
»Die billigste Litteraturzeitung ist ... die etc.« hebt ein Journalartikel an. Danach sollte man glauben, daß die Recensionen mit grosser Billigkeit abgefaßt waren. Er meint aber die wohlfeilste. –
»Koburg wird billiger regiert als Gotha« (Postztg.); man meint, das heiße mit Nachsicht, o Nein! es ist gemeint wohlfeiler. »Billig« ist ein moralisches Prädikat, kein merkantilisches. Postztg. vom 9. Nov. 1858, Schreiben aus Berlin: »Alle demokratischen Zeitungen begeifern die gefallenen Minister; – es ist so billig jetzt zu schimpfen.« – (…) Billig, ausgehend von Krämern: »billige Behandlung der Kunden«, und dann wurde die Waare billig: endlich billige Ochsen auf dem Viehmarkt. Billig ist ein durchaus moralisches Prädikat, darf daher bloß von Menschen gebraucht werden. –
Alle setzen stets »nothwendig« (necessarium, necesse est) statt nöthig (opportet, opus est); nothwendig bezieht sich (als Wirkung) auf die causa efficiens; nöthig auf die causa finalis. –
»Maaßnahme« statt Maaßregel. Maaßnahmen – sind was der Schneider vornimmt, wenn er mir Hosen anmißt; Maaßregel ist der leitende Grundsatz, nach dem verfahren werden soll. –
(…}
Statt Begriff, Ansicht, Meinung u. dgl. durchgängig das affektirte, gespreizte und ekstatische »Anschauung«. –
In der Postzeitung, Decemb. 22., 1859 heißt es: »ob er, Hr. P. die Aechtheit der Anlage zu verabreden vermöge«: also »verabreden« statt in Abrede stellen! (…) also völligen Unsinn schreiben, um zwei Silben zu lukriren! –
Statt zeitweilig schreibt Einer zeitig, welches aber reif bedeutet. –
»Ein unweit anziehenderes Gemählde« (Gött. Gel. Anzeigen, Septbr. 1858) statt ungleich: unweit bedeutet nahe. Aber dies ist die heutige Sitte: jeder Skribler schreibt das Wort hin, welches ihm gerade durch den Kopf fährt, – mag es die hier nöthige Bedeutung haben, oder nicht. Der Leser mag rathen, was gesagt seyn soll. –
»Beiläufig« ( i. e. obiter, en passant) statt ungefähr ( circiter, à peu près). – »Umfänglich« statt umfangsreich: ist das Gegentheil, indem es besagt »was sich umfangen läßt«. –
»Sorglich« statt sorgfältig, von Sorgfalt: jenes von Sorge, wie auch besorglich, Besorgniß. – Aber nur Silben ausmerzen, unbekümmert darum, daß dadurch die Sprache um viele Worte verarmt, dies ist der Geist unsrer Sprachverbesserer. –
Statt niedrig schreiben sie »nieder«, aus niederträchtiger Lumpacivagabundenbuchstabensparsamkeit: – aber nieder führt den Begriff der Bewegung mit sich: der Stein fallt nieder, das Thal liegt niedrig. –
»Er sitzt nieder«, statt »setzt sich nieder«, um eine Silbe zu ergaunern, ist gerade so ein Schnitzer, wie wenn man Lateinisch sedēre statt siděre schriebe. Aber auch statt niedrig sind sie dreist genug nieder und statt übrig – über zu setzen. Dazu machen sie gar noch den Superlativ: der niederste! (Heidelberger Jahrbücher.) Nieder ist Adverbium, niedrig aber Adjektiv. –
Sie schreiben »über« statt übrig; »überbleiben« (Graul).
Einer schreibt (Zeller) »Abschätzig« statt geringschätzig; und bedenkt nicht, daß abschätzen taxiren bedeutet: die niederträchtige Buchstabenzählerei macht sie blind gegen Alles. Ueberhaupt bedenkt sich Keiner bei der Sprachverbesserung; sondern Jeder schreibt hin was ihm eben durch den Kopf fährt, sobald er nur an den Fingern die Buchstaben abgezählt hat. – So oft man (wie jetzt täglich geschieht) Ein Wort die Stelle zweier vertreten läßt, die bis dahin 2 verschiedene Begriffe bezeichneten, verarmt die Sprache. –
Ich kann dies »allein« statt selbst. –
Statt »in der Kürze« ( ut brevi dicam) »kürzlich« ( nuper). Gött. gel. Anz. Sie schlagen die Sprache in Trümmern, wenn es gilt eine Silbe zu lukriren. –
»Einig« ( concors) statt einzig ( unicus) und statt einfach ( simplex). –
(…)
Statt »Stelle« »Platz« – greift um sich. – Statt »verdorben« »verderbt«! Bloß aus Buchstabenzählerei. Schreibt doch auch gesterbt statt gestorben! –
»Ich fühle mich bewogen, diese Weise der Beurtheilung nur auf das Freudigste anzuerkennen«. (Marggraf, litt. Blätter, August [1858]).
bloß = pure, only
(…) Sprachverderbniß ist allemal ein sicheres Zeichen der Degeneration der Litteratur eines Volkes. Möchte doch der Unverstand sich irgend einen andern Tummelplatz suchen, als die deutsche Sprache! Denn nirgends ist das von ihm gesäete Unkraut so schwer, ja fast unmöglich auszurotten, wie hier, wo es nachmals sich an das Spalier der Gewohnheit klammert. Die impotenten Langbärte dieser erbärmlichen Nützlichkeitszeit drohen die deutsche Sprache auf immer zu verderben.
Sie schreiben ständig statt beständig: dann müssen sie auch Stand statt Bestand schreiben.
Statt »gegenwärtig, einstweilen, jetzt, zu jetziger Zeit« schreiben sie, höchst lächerlicher Weise, stets augenblicklich, und zwar thun sie es Alle, Einer dem Andern nach. Und dies ist die Schande. Denn wenn irgend ein Einzelner dergleichen grammatikalische und orthographische Idiotismen oder Solöcismen auf eigene Hand begienge; so wäre es eben seine Grille und er behielte doch die Würde der Originalität. Aber die bereitwillige, eifrige, allgemeine Nachahmung jedes hirnlosen Schnitzers ist das Herabwürdigende des Treibens. Diese allgemeine Einstimmung, dieses Chorusmachen bei jedem neu erfundenen Schnitzer ist eben das Verächtlichste. Denn die blinde Nachahmerei ist überall das ächte Stämpel der Gemeinheit: der grosse Haufe, der Plebs, wird fast in allem seinen Thun ausschließlich durch Beispiel geleitet und wird durch Nachahmung, wie das Automat durch Räder bewegt. – Eine besonders lächerliche Folge jenes Mißbrauchs des Wortes augenblicklich ist, daß wenn sie nun ein Mal im Ernst augenblicklich meynen; dann sagen sie »im Nu«: ein Wort aus der Kinderstube. Eine sehr ästhetische buchstabenersparende Verbesserung desselben ist »augenblicks«, welches ich, statt »jetzt«, wirklich gefunden habe: da es klingt wie Blix (Blitz), wird es figurativ und dadurch äußerst schön und nachahmungswürdig.
Arthur Schopenhauer
(Arthur Schopenhauer's handschriftlicher Nachlaß - Vorlesungen und Abhandlungen - Kapitel 10; http://gutenberg.spiegel.de/buch/4993/10)
Montag, 21. November 2011
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