Seiten

Dienstag, 3. Mai 2011

Schiller an Goethe über seine Probleme, ein Drama zu schreiben

Wie tröstlich, dass auch Genies Probleme mit dem Schreiben haben. Denkt man doch immer, ihnen fließen die Worte (nicht Wörter) nur so aus der Feder, während unsereins sich Wort für Wort mühsam abringen muss.

An Goethe
Jena, 18. März 1796

Seit Ihrer Abwesenheit ist es mir noch immer ganz erträglich gegangen, und ich will recht wohl zufrieden seyn, wenn es in Weimar nur so continuirt. Ich habe an meinen Wallenstein gedacht, sonst aber nichts gearbeitet. Einige Xenien hoffe ich vor der merkwürdigen Constellation noch zu Stande zu bringen.

Die Zurüstungen zu einem so verwickelten Ganzen, wie ein Drama ist, setzen das Gemüth doch in eine gar sonderbare Bewegung. Schon die allererste Operation, eine gewisse Methode für das Geschäft zu suchen, um nicht zwecklos herumzutappen, ist keine Kleinigkeit. Jetzt bin ich erst an dem Knochengebäude, und ich finde, daß von diesem, eben so wie in der menschlichen Structur, auch in dieser dramatischen alles abhängt. Ich möchte wissen wie Sie in solchen Fällen zu Werk gegangen sind. Bei mir ist die Empfindung anfangs ohne bestimmten und klaren Gegenstand; dieser bildet sich erst später. Eine gewisse musikalische Gemüthsstimmung geht vorher, und auf diese folgt bei mir erst die poetische Idee.*

Nach einem Brief von Charlotte Kalb hatten wir heute Herdern hier zu erwarten. Ich habe aber nichts von ihm gesehen.

Leben Sie recht wohl. Hier Cellini, der vorgestern vergessen wurde. Meine Frau grüßt bestens.

Sch.

(Quelle: http://www.briefwechsel-schiller-goethe.de/?p=1067)

*Dieser Satz Schillers zeigt eine wesentliche Prozess des Dichtens: Nicht die Bilder sind zuerst da, sondern die musikalische Stimmung. Und das, denke ich, unterscheidet den Lyriker von dem Gelegenheitspoeten. (Siehe dazu Friedrich Wilhelm Nietzsche: Die Geburt der Tragödie: Aus dem Geiste der Musik. Cambridge University Press 2010 (zuerst veröffentlicht 1872),  S. 20).

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen