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Mittwoch, 18. Februar 2009

Textarten (Was ist Literatur. III)


Der Gebrauchstext

Wörtlich gemeinte Texte sind Gebrauchstexte: Der Schreiber will nicht unterhalten, sondern informieren. Er selbst tritt hinter das Geschriebene zurück. Hierzu zählen unter anderem Gebrauchsanweisungen, Werbung und Zeitungsartikel.

Der literarische Gebrauchstext

Literarische Gebrauchstexte sind nichtfiktive Texte wie Briefe oder Tagebucheintragungen einer Figur. Thomas MANN verknüpft in den Buddenbrooks einen Lexikonartikel über Typhus (»Mit dem Typhus ist es folgendermaßen bestellt«) mit dem Roman, um den Tod des kleinen Hanno darzustellen. Er erreicht damit eine stärkere Wirkung, als wenn er die Krankheit beschrieben hätte, auch vermeidet er so jede Rührseligkeit. Berühmt geworden ist auch die Passage in DÖBLINS Roman Berlin Alexanderplatz, in der Franz Biberkopf Ida, seine Braut, erschlägt:
Was die Sekunde vorher mit dem Brustkorb der Frauensperson geschehen war, hängt zusammen mit den Gesetzen von Starre und Elastizität und Stoß und Widerstand. Das erste Newtonsche [njutensche] Gesetz, welches lautet: Ein jeder Körper verharrt im Zustand der Ruhe, solange keine Kraftwirkung ihn veranlaßt, seinen Zustand zu ändern [bezieht sich auf Idas Rippen]. Das zweite Bewegungsgesetz Njutens: Die Bewegungsänderung ist proportional der wirkenden Kraft und hat mit ihr die gleiche Richtung [die wirkende Kraft ist Franz, beziehungsweise sein Arm und seine Faust mit Inhalt]. Die Größe der Kraft wird mit folgender Formel ausgedrückt:

Die durch die Kraft bewirkte Beschleunigung, also den Grad der erzeugten Ruhestörung, spricht die Formel aus:

Danach ist zu erwarten und tritt tatsächlich ein: Die Spirale des Schaumschlägers wird zusammengepreßt, das Holz selbst trifft auf. Auf der andern Seite, Trägheits-, Widerstandsseite: Rippenbruch 7.- 8. Rippe, linke hintere Achsellinie.

Bei solcher zeitgemäßen Betrachtung kommt man gänzlich ohne Erinnyen aus. Man kann Stück für Stück verfolgen, was Franz tat und Ida erlitt. Es gibt nichts Unbekanntes in der Gleichung. Bleibt nur aufzuzählen der Fortgang des Prozesses, der so eingeleitet war: Also Verlust der Vertikalen bei Ida, Übergang in die Horizontale, dies als grobe Stoßwirkung, zugleich Atembehinderung, heftiger Schmerz, Schreck und physiologische Gleichgewichtsstörung."
SIMMEL druckt in Es muss nicht immer Kaviar sein Speisekarten ab und die Kochrezepte dazu. »Auf >russisch< style="font-style: italic;">Russischem Borscht, Filet de Boef Stroganoff und Zitronen-Soufflé. Sachbuchautoren wiederum wählen eine verständliche, bildhafte Sprache und verwenden literarische Elemente wie die Schilderung von (fiktiven) Gefühlen, um den Text lebendiger zu gestalten.

Drei Möglichkeiten, über den Mond zu schreiben

Die folgende Definition aus der Kleinen Enzyklopädie Natur ist ein Gebrauchstext:
Der Mond ist unser Nachbar im Weltraum. Ein Flugzeug mit 400 km Stundengeschwindigkeit würde schon nach etwa 40 Tagen ununterbrochenen Fluges auf ihm landen. Zur Sonne würde es 42 Jahre unterwegs sein,
BÜRGELS Beschreibung in Aus fernen Welten ist ein literarischer Gebrauchstext:
Zwei Gestirne vor allem haben den Menschen seit den grauesten Tagen beschäftigt, haben auf sein Leben, sein Denken, sein Naturfühlen eingewirkt: »das große Licht, das den Tag regiert, und das kleine Licht, das die Nacht regiert«. Das Tagesgestirn haben wir bereits eingehend betrachtet, nun wollen wir uns dem bleichen Nachtwandler zuwenden, dem Monde,
und EICHENDORFFS Mondnacht ein literarischer Text:
Es war, als hätt’ der Himmel
Die Erde still geküßt,
Dass sie im Blütenschimmer
Von ihm nun träumen müsst’.

Die Luft ging durch die Felder,
Die Ähren wogten sacht,
Es rauschten leis die Wälder,
So sternklar war die Nacht.

Und meine Seele spannte
Weit ihre Flügel aus,
Flog durch die stillen Lande,
Als flöge sie nach Haus.
VERNE drückt den Unterschied so aus:
Für den Dichter ist die Perle eine Träne aus dem Meer … Für den Chemiker jedoch ist sie ein Gemisch aus Phosphat und Kalziumkarbonat mit etwas Gelatine. Und für den Biologen ist sie einfach eine krankhafte Sekretion des Organs, das in gewissen zweischaligen Muscheln Perlmutt produziert.
Im Gebrauchstext schreibt der Autor, was eine Figur sagt. Im fiktiven Text schreibt er, was sie denkt.

Ich beschränke mich hier, wie Sie sicher schon bemerkt haben, auf die Belletristik, die »schöne« Literatur. Viele Regeln, Beispiele und Zitate gelten aber auch für Lyrik, Essay und Sachliteratur. Doch auf einen wesentlichen Unterschied muss ich (leider) hinweisen: Literatur ist nicht gleich Literatur.

(Wenn mir jetzt noch jemand sagen könnte, wie ich die Rahmen um die Formeln wegkriege, wäre ich ihm sehr dankbar. Beim Verfassen des Posts ist er nämlich nicht zu sehen, jmw)

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