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Mittwoch, 12. November 2008

Was ist eigentlich Stil …

... fragte ich mich verzweifelt, wenn ich unter meinem Aufsatz dick mit Rotstift geschrieben lesen musste: Inhalt gut, Stil schlecht. Da hatte ich grandiose Gedanken in brillante Worte gefasst und nun das ... Ich beschloss, nie wieder ein Wort zu schreiben, musste das natürlich doch und erhielt wieder Aufsätze mit einer schlechten Note zurück.

Was ist das eigentlich – Stil?, fragte ich mich also und merkte, dass alles mögliche mit Stil bezeichnet wird. Da wird von einem rücksichtslosen Fahrstil gesprochen, der große Stil bewundert, in dem jemand lebt, und der schlechte Stil eines Menschen beklagt (womit wohl nicht dessen Schreibstil gemeint war). In Rezensionen fand ich Bezeichnungen wie lebendiger Stil, krachlederner »Thresenlesen«-Stil, unglaublich bürokratischer Stil, klassischer Stil, expressiver Patchwork-Stil, detailverliebter Stil, auf das Wesentliche reduzierter Stil, unpedantischer Stil, erzählender Stil, lesbarer Stil, lockerer Stil, lakonischer Stil, scheinbar simpler Stil, sehr unkonventioneller Stil, für jeden zugänglicher Stil, schneller Stil, hellwacher Stil,der mahlende Stil Prousts, Generation-X-Mittdreißiger-Jo-Jo-Stil. Aha. Die klugen Rezensenten wissen auch nicht so recht, was Stil ist. Aber zumindest die Renault-Werbung weiß es: »Was ist Stil eigentlich«, fragt sie und gibt gleich die Antwort: »Schwer zu erklären, leicht zu erkennen.« Also versuchte ich, eine Erklärung zu finden.

In schlauen Büchern las ich, dass jede sprachliche Äußerung einen Stilwert hat und jeder Text unbewusst nach dem Stil beurteilt wird, dass er also nichts mit hoher Literatur zu tun hat. Jeder Text kann gut oder schlecht sein, anders als die Grammatik, in der es um falsch und richtig geht. – Das tröstete mich ein wenig. – Stil (von lat. stilus: Griffel; ursprünglich »die Art zu schreiben«, heute »die Art etwas zu tun«) ist das Ergebnis einer Wahl: Der Schriftsteller wählt aus allen Wörtern mehr oder weniger unbewusst die Worte, mit denen er sich in seiner Einzigartigkeit ausdrückt. Ich erkannte: Stil bedeutet die Art, wie man etwas tut. Doch Stil ist nicht nur Schmuck. Er stellt durch die Art, wie der Autor seine Gedanken ausdrückt und die Wirklichkeit abbildet, eine Bedeutung her und bestimmt nicht nur das Wie, sondern auch das Was des Schreibens. Flaubert definiert den Stil als »eine Weise, die Dinge zu sehen«: Die Sicht des Autors auf die Dinge und die Welt prägen dessen Ausdrucksweise. Und Nossack schreibt, er verlange von einem Stil, »dass sich der Autor als Mensch durch ihn zu erkennen gibt, nur dann ist er und sein Buch glaubhaft für mich, auch wenn er einen mir konträren Standpunkt einnimmt«.

Von Stil kann man überhaupt nur sprechen, weil dasselbe Thema sich auf unterschiedliche Weise ausdrücken lässt, es also verschiedene Stile gibt, die miteinander verglichen werden können. Durch diese »relativ freie« Möglichkeit der Wahl gibt es auch keinen Idealstil – »relativ« insofern, als die Sprachregeln letztlich wenig Spielraum lassen. Den Idealstil kann es auch nicht geben, weil selbst »guter« Stil nicht absolut ist. Eine noch so brillante Formulierung kann schlecht sein, wenn sie nicht in den Zusammenhang passt. Auch das tröstete mich, hatte ich doch mit meinen unsterblichen Formulierungen bisher so herzlich wenig erreicht.

Und was gehört zu einem Stil?, fragte ich mich und erfuhr, dass das die insistierende Nennung – die Entwicklung einer Aussage durch die Betrachtung aus verschiedenen Gesichtspunkten und durch das Verändern und Umkreisen des Grundgedankens –, die Häufung – die, auch tautologische, Wiederholung von Wörtern, Bildern oder Sätzen, ohne dass sich der Sinn des Gesagten verändert –, und die Besonderheiten des Satzbaus wie der Wegfall von Konjunktionen sind.

Ich erinnerte mich an Buffons Ausspruch »Wie der Stil, so der Charakter«, und grübelte, ob vom Stil auf den Charakter geschlossen werden kann oder ob der Charakter den Stil bestimmt. Aber Buffon meint damit etwas anderes: dass nur »gut geschriebene Werke Bestand« hätten, dass »weder die Fülle der Kenntnisse, noch ausgezeichnete Tatsachen, noch neue Entdeckungen die Unsterblichkeit« sicherten. Denn dies alles könne »von anderen benutzt werden und sogar in geschickteren Händen größere Bedeutung gewinnen«. Weiter sagt er: »Diese Dinge stehen nicht in der Macht des Menschen; nur der Stil ist der Mensch selbst. Der Stil kann daher weder entwendet, noch übertragen, noch geändert werden; ist er erhaben, edel, hoch, so wird der Schriftsteller zu allen Zeiten gleich bewundert werden.

Goethe sieht das jedoch so, wie ich vermutete: Für ihn ist »im ganzen« ... der Stil eines Schriftstellers ein treuer Abdruck seines Innern: will jemand einen klaren Stil schreiben, so sei es ihm zuvor klar in seiner Seele; und will jemand einen großartigen Stil schreiben, so habe er einen großartigen Charakter«. Und Lichtenberg schreibt im Sudelbuch: »Der Einfluß des Stils auf unsere Gesinnungen und Gedanken ... zeigt sich sogar bei dem sonst genauen Linnaeus, er sagt die Steine wachsen, die Pflanzen wachsen und leben, die Tiere wachsen leben und empfinden, das erste ist falsch, denn der Wachstum der Steine hat keine Ähnlichkeit mit dem Wachstum der Tiere und Pflanzen. Vermutlich hat ihn das Steigende des Ausdrucks, den er bei den letzten gespürt hat, auf den Gedanken gebracht, auch die erstern mit unter diese Klasse zu bringen.«

Und so erfuhr ich, dass Stil vor allem eine Sache des Nacherlebens, des Geschmacks, einer besonderen sprachlichen Ausdrucks- und Beobachtungsweise ist, und konnte beruhigt nach anderen Geheimnissen der Sprachkunst forschen.

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