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Montag, 1. September 2008

Lessing sagt …

Ich habe geurteilet: Viele Worte machen; einen kleinen Gedanken durch weitschweifende Redensarten aufschwellen; labyrinthischen Perioden flechten, bei welchen man dreimal Atem holen muß, ehe man einen ganzen Sinn fassen kann: Das sei überhaupt die vorzügliche Geschicklichkeit desjenigen von den Mitarbeitern an dem »Nordischen Aufseher«, der die meisten Stücke geschrieben zu haben scheine. Soll ich mein Urteil widerrufen, weil es Herr Basedow für eine Verleumdung ausschreiet? Es ist wahr, ich habe es mit keinen Beispielen bestätiget. Aber mit wie vielen will er es noch bestätiget haben? Mit unzähligen? – Ich darf das Buch nur auffallen lassen, wo es auffallen will. – Aber, wer wird mir abschreiben helfen? Und o des armen Papiers, das ich so verschwenden muß! – Was hilfts? …

Also, z. E.



»Die Trunkenheit ist eine so schändliche Beleidigung der Tugend; sie erniedriget den Menschen so tief; die Vernachlässigung und Übertretung der edelsten Pflichten, ist bei ihren Ausschweifungen so unausbleiblich, und sie hat so viele nachteilige und unglückselige Einflüsse, nicht allein auf die Wohlfahrt derjenigen, welche sich dadurch der schönsten Vorzüge unserer Natur berauben, sondern auch auf das öffentliche und gemeine Beste, daß sowohl der Menschenfreund, als der Patriot, unter einer dringenden Verbindlichkeit stehet, für sichre und zuverlässige Mittel besorgt zu sein, einem so gefährlichen Laster Grenzen zu setzen, und den ausschweifenden Gebrauch berauschender Getränke zu verhindern.« etc.

Wie gefallen Ihnen diese Perioden? – Aber sie könnten noch länger sein. – O Geduld, ich will Sie auch nur erst in Atem setzen. Da sind schon etwas längere.

Z. E. »So sorgfältig sich auch Altern in der Erziehung ihrer Kinder bestreben mögen, sie von ihrer ersten Kindheit an zur Tugend zu bilden, und alles zu verhindern, was ihr Herz verderben, oder die angeboren Unordnung desselben unterhalten und vermehren kann; so notwendig es auch ist, sehr frühzeitig mit denselben, als mit vernünftigen Wesen umzugehen, die des Nachdenkens und der Überzeugung fähig sind: So ist es dennoch beinahe unmöglich, diese wichtigen Endzwecke ohne allen Gebrauch schmerzhafter Mittel zu erreichen, ob es gleich eine eben so unleugbare Erfahrung bleibt, daß nach den von Natur sehr verschiedenen Charakteren der Kinder, einige der Züchtigung mehr, und andere derselben weniger bedürfen.«



Wie nun? – Welcher Schwall von Worten! Welche Teuerung an Gedanken! Gedanken? Daß man der schändlichen Trunkenheit steuren müsse; daß man die Kinder auch manchmal züchtigen müsse etc. Kann man abgedroschnere Wahrheiten mit aufgeblasenern Backen predigen? –… Lesen Sie; nehmen Sie dabei alle Ihre Gedanken zusammen; und sagen Sie mir am Ende, was Sie gelesen haben.



Was plaudert der Mann? Sie werden ihn schon noch einmal lesen müssen. Und wenn Sie denn nun sein Bißchen Gedanken weghaben: wollten Sie sich nicht getrauen, es mit dem siebenden Teile seiner Worte, eben so stark und schöner vorzutragen?


(Gotthold Ephraim Lessing: Ästhetische Schriften: Briefe, die neueste Literatur betreffend. Sechster Teil)

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