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Dienstag, 9. September 2008

Wie erwirbt man einen guten Stil? I

Sicher haben Sie sich schon oft gefragt: Welchen Stil soll ich benutzen, damit ich mich von den anderen Schriftstellern unterscheide? Wo lerne ich ihn?

Darauf kann ich Ihnen nur antworten: Ihren Stil finden müssen Sie selbst, ich kann keine Gebrauchsanweisung liefern. Im Gegenteil: Wenn Sie akribisch all das anwenden, was Sie in Stilschulen und beim Lesen anderer Schriftsteller gelernt haben, kann Ihre individuelle Ausdrucksweise verloren gehen. Ein origineller Stil lässt sich nicht erzwingen, er wirkt gekünstelt und peinlich. Sie können Ihren Stil aber schulen. Und: Fragen Sie nicht, welchen Stil Sie schreiben müssen, damit er dem Leser gefällt. Solch ein Stil gefällt nicht, er wird gefällig.

Über Stilschulen

Emil STAIGER schreibt über Stilschulen, die zu genau beachtet werden, dass es
eine künstlerisch ganz irrelevante Einstimmigkeit gibt ..., ein unpersönlicher, durch den Geschmack der Öffentlichkeit, vielleicht auch durch Regelbücher vorgeschriebener Stil. Überall wo der Glaube an eine »Critische Dichtkunst« verbreitet ist, besteht grundsätzlich diese Gefahr. Zahlreiche Dichter der Aufklärung zum Beispiel sind ihr erlegen. Ungezählte Epigramme und Liederchen des achtzehnten Jahrhunderts, viele Bühnenwerke, die Gottsched verpflichtet sind, gleichen sich in stilistischer Hinsicht wie ein Ei dem andern und haben, nach unsern heutigen künstlerischen Begriffen, künstlerisch keinen Wert.
Der angesprochene Johann Christoph GOTTSCHED, der sich in dem 1730 erschienenen Versuch einer Critischen Dichtkunst für die Deutschen gegen den Schwulst in der Dichtung wandte und damit den Boden für eine klarere Schriftsprache bereitete, schuf durchaus nicht die erste Stilkunde. Verbindliche Regeln für einen guten Stil existieren seit den ersten Rhetorenschulen im fünften Jahrhundert vor Christus. Auf HORAZ' Ars poetica und vor allem ARISTOTELES' Poetik bauen alle Regelwerke und Bücher übers Schreiben bis hin zu Sol STEINS Über das Schreiben auf. Martin OPITZ schrieb 1624 die erste deutsche Stilkunde, das Buch von der Poeterey, und von 1648 bis 1653 gab der Nürnberger Georg P. HARSDÖRFFER ein Lehrbuch zur Dichtkunst, den Poetischen Trichter die Teutsche Dicht- und Reimkunst / ohne Behuf der Lateinischen Sprache / in VI Stunden einzugießen heraus – Sie kennen es als Nürnberger Trichter (er muss ja sehr optimistisch gewesen sein, wenn er meinte, man könne die Dichtkunst in sechs Stunden lernen ...). Bereits 1518 war Andreas TSCHERNINGS Werk Unvorgreiffliches Bedencken über etliche Mißbräuche in der deutschen Schreib= und Sprach=Kunst erschienen.

Die erste Poetik in deutscher Sprache schuf Otfrid VON WEISSENBURG in seinem Evangelienbuch zwischen 863 und 871, weil er die Eignung der deutschen Sprache für die Dichtkunst beweisen wollte, dass also für sie nicht nur die Sprachen der »edilzungun« – die heiligen Sprachen Hebräisch, Griechisch und Latein – als Sprachen der Kreuzesinschriften gelten sollten. Er wusste, dass das neu war, denn diese Sprache sei zwar »noch nicht so gesungen worden« (nist si so gisungan) und in Regeln gefasst, sie habe aber ihre Geradheit in schöner Schlichtheit.

Unter anderem schreibt er:
Sie [die Griechen und Römer] schreiben so regelrecht und so schlicht, es ist so vollkommen ineinandergefügt wie Elfenbein(schnitzereien). So muß man schreiben! Das macht dem Menschen stets Vergnügen. Beschäftige dich mit solcher Dichtung: das wird deinen Verstand anregen! Die Schlichtheit der Prosa etwa labt dich unmittelbar, die Kunst metrischer Dichtung wiederum bietet überaus reinen Genuß. Die Dichter machen [gerade] diese sehr geschmackvoll, sie messen auch die Versfüße, die Längen und Kürzen, damit ihr Werk Vergnügen bereitet. Sie haben darauf geachtet, daß ihnen keine Silbe fehlt. Sie lassen sich nur von den Erfordernissen der Versfüße leiten.
HERDER und GOETHE setzten im Sturm und Drang ihre Überzeugung durch, dass Stil als persönlicher Ausdruck sich weder nachahmen noch lehren lässt wie die Grammatik. Das Können des Autors hinge nur von dessen dichterischer Begabung ab, von dessen Individualität und Intuitionen, die wertvoller seien als Nachahmung oder Traditionen. Wichtig waren nicht mehr die Regeln, die den Leser an eine Geschichte fesseln sollten, sondern die Faszination dichterischer Freiheit. Der Dichter galt als Genie, als schöpferischer, kreativer Künstler, und nicht mehr als »Regelpoet«. Aber auch GOETHE lernte bei Christian Fürchtegott GELLERTS Poetik-Vorlesungen, die mit praktischen Übungen »in deutschen und lateinischen Ausarbeitungen zur Bildung des Verstandes und des Stils« verbunden waren, das Schreibhandwerk – und gab dessen Lektüre- und Stilvorschriften ziemlich autoritär umgehend an seine Schwester weiter. Als Goethe den Götz von Berlichingen schrieb wusste er, wie man Dramen, und bei den Leiden des jungen Werther, wie man einen Briefroman schreibt. – Den Stoff zu Wilhelm Tell, den Goethe von seiner dritten Schweiz-Reise mitgebracht hatte, überließ er allerdings SCHILLER, weil er sich selbst eine Diskrepanz zwischen »inneren Bildern und äußerem Unterlassen« eingestand. – Er las Romane von Trivialautoren, um zu lernen, wie er in Wilhelm Meisters Lehrjahre einen Geheimbund agieren lassen könnte. Die Manuskriptseiten schickte er nach und nach Schiller, damit er ihm beim Feilen half.

Schiller wiederum fürchtete, dass sein erstes Drama nicht gelungen war, weil er in Württemberg zu sehr vom literarischen Leben abgeschnitten lebte. Für den Wallenstein studierte er deshalb gemeinsam mit Goethe die gesamte Literatur über das Schreiben, von ARISTOTELES bis LESSING. Er las jedes Königsdrama von SHAKESPEARE, um zu lernen, wie man über einen historischen Stoff schreibt.

Der Geniekult des Sturm und Drang sind inzwischen widerlegt. In der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts gab die linguistische Verständlichkeitsforschung den meisten Stilregeln eine wissenschaftliche Grundlage. ECO schreibt dazu:
Wenn ein Schriftsteller ... sagt, er habe gearbeitet, ohne an die Verfahrensregeln zu denken, meint er damit nur, daß er gearbeitet hat, ohne zu wissen, daß er die Regeln kannte. Ein Kind weiß seine Muttersprache gut zu gebrauchen, aber es könnte nicht ihre Grammatik schreiben. Dennoch ist der Grammatiker nicht der einzige, der die Regeln der Sprache kennt, denn unbewußt kennt sie auch das Kind. Der Grammatiker ist nur der einzige, der weiß, wie und warum das Kind mit der Sprache umgehen kann.
Denken Sie aber daran: Stil ist nur ein Mittel, Sie dürfen vor lauter Nachdenken über das Wie nicht das Erzählen vergessen. Meißeln und feilen und glätten Sie an Ihrem Werk nicht so lange, bis nichts Eigenes übrig bleibt. Der Stil darf nicht zum Selbstzweck verkommen, indem Sie sich nicht trauen, einen schlichten Satz zu schreiben, der nur das sagt, was er sagen soll.

Siehe dazu auch meine Ausführungen zu was ist eigentlich stil und und was ist guter stil

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