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Montag, 25. August 2008

Schreiben – was bedeutet das? I

Schreiben ist eine Arbeit so hart wie Holzhacken. (SIMMEL)

Holzhacken ist deshalb so beliebt, weil man bei dieser Tätigkeit den Erfolg sofort sieht. (Albert EINSTEIN)

Ein Buch zu schreiben ist wie ein Boot zu rudern. Wenn man erst einmal auf hoher
See ist, merkt man, dass man ein Galeerensklave ist
und einfach weiter rudern muss.
(unbekannt)
Das Schreiben zählt zu den großen Leistungen des menschlichen Geistes, in denen sich seine Freiheit ausdrückt. Es läßt der Individualität Raum. Es ist eine Quelle der Freude, ein Weg, auf dem es vieles zu entdecken gibt. Wer sein eigenes Leben schreibend verfolgt, vertrauensvoll und gelassen, empfindet die Welt immer als einladend und rätselhaft, als unermeßliche Sphäre, die lebendige Realität und Unberechenbarkeit des Traums miteinander vereint. Durch das Hin-und-her-Wechseln zwischen Erlebnis und Gedanke gelangt der Schreibende über Raum und Zeit hinaus. Ihm gehört das ganze unerforschte Reich der menschlichen Vorstellungskraft (William STAFFORD).
Schreiben bedeutet auch, Leben in Geschichten zu verwandeln und Geschichten mit Leben zu füllen.

Schreiben bedeutet Ausdauer

Schriftsteller arbeiten immer, sie hören niemals auf. (Edna O’BRIEN)

Karl KRAUS beschreibt den »Werdegang des Schreibenden«: »Im Anfang ist man’s ungewohnt und es geht darum wie geschmiert. Aber dann wird’s schwerer und immer schwerer, und wenn man erst in die Übung kommt, dann wird man mit manch einem Satz nicht fertig.«

Schreiben zählt nicht nach Minuten, Stunden oder Tagen. Meist hat der Schriftsteller an dem, was Sie in zehn Minuten lesen, zehn Stunden oder zehn Tage gearbeitet, denn zum Schreiben gehören auch das Recherchieren und vor allem das Feilen. Manche Autoren sind froh, wenn sie an einem Tag wenigstens eine Seite zustande bringen. LOWRY zum Beispiel hat für seinen Roman Unter dem Vulkan zwölf Jahre benötigt. Für Christoph PETERS besteht »Literatur – so banal das klingt – nicht aus Ideen oder Konzepten, sondern aus Sätzen. Und wenn jeden Tag drei Sätze gelingen, sind das bei 365 Jahrestagen schon 1095.«

In einem Interview mit dem Tagesspiegel antwortete Martin WALSER auf die Frage, wie viele Seiten er am Tag schreibe: „Das können wir ja mal ausrechnen. Nehmen wir die gedruckten Seiten vom »Lebenslauf der Liebe«, etwas über 500. Mehr als 600 Tage habe ich geschrieben, dann komme ich nicht auf eine Seite pro Tag.«

Oft ist der Text abends sogar kürzer als morgens, weil der Autor so viel gestrichen hat. So beklagt sich KAFKA in einem Brief an Max Brod:
Daß ich so viel weggelegt und weggestrichen habe, ja fast alles, was ich in diesem Jahre überhaupt geschrieben habe, das hindert mich jedenfalls auch sehr am Schreiben. Es ist ja ein Berg, es ist fünfmal so viel als ich überhaupt je geschrieben habe, und schon durch seine Masse zieht es alles, was ich schreibe, mir unter der Feder weg zu sich hin.«
So wie der Chemiker, ohne auf die Uhr zu schauen, konzentriert im Labor arbeitet, der Paläontologe, ohne auf die Zeit zu achten, in der Wüste Gobi nach Dinosaurierknochen sucht, der Bergsteiger den K2 besteigt, arbeitet der Autor konzentriert an seinem Text.

Schreiben heißt Geduld

Außer Phantasie, Begeisterung(!), Schreibgerät, Papier, benötigen Sie zum Schreiben vor allem Geduld und Hartnäckigkeit. Denn schreiben heißt auch warten, warten auf Einfälle, auf den passenden Satz, das einzig richtige Wort an einer bestimmten Stelle.

Ich kann Ihnen keine Wunder versprechen, Ihr Weg wird lang und einsam werden (frei nach Jacqueline KENNEDY), zu oft werden Sie verzagen und den Federhalter beiseite legen (oder den Laptop ausschalten) und nie wieder ein einziges Wort schreiben wollen. Doch geben Sie nicht auf! Denken Sie daran: Sie sind in guter Gesellschaft. Viele namhafte Schriftsteller haben wieder und wieder gezweifelt und waren wieder und wieder verzweifelt, weil ihnen nichts einfiel, weil das, was ihnen einfiel, ihnen nicht gefiel, weil das, was ihnen gefiel, anderen, einem Lektor zum Beispiel, nicht. Und sie haben doch weiter geschrieben, so wie SARTRE, der sich in einem Brief an Simone DE BEAUVOIR beklagt:
Es gibt ausgezeichnete Sachen im Stillen Don, allerdings ist er nicht so gut wie Neuland unterm Pflug. Gut genug jedoch, um mich zu beschämen: ich habe heute morgen dreißig Seiten über ein Damenorchester zerrissen und weggeworfen, dann habe ich die Hoffnung aufgegeben, je mein Handwerk zu beherrschen, dann habe ich die Frage klugerweise auf später verschoben. Ich werde morgen von vorn anfangen.
Für VALÉRY entsteht Gelungenes »durch Verwandlung aus Verfehltem. Verfehlt heißt demnach: zu früh aufgegeben«.

Schreiben bedeutet kein Hundertmetersprint, sondern die Tour de France: durchhalten, auch wenn jedes Glied schmerzt, sich immer wieder neu motivieren und dem Ziel – das eigene Buch – alles andere unterordnen. Oder, um mit Walter GOODEFROOT, dem Teamchef des ehemligen Radsport-Teams Telekom, zu sprechen: Stürzen, aufstehen, siegen.

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