Recherchieren Sie also, bevor Sie einen Roman schreiben, der im Mittelalter spielt: Wie sahen die Räumlichkeiten im Jahr Eintausendeins aus? Wie kleideten sich die kleinen Kaufleute, welche Tracht trug ein spanischer Höfling? Aus welchem Material waren Beinkleider und Kittel gearbeitet? Was aß man bei Hofe? Berücksichtigen Sie auch, dass die Menschen früher religiöser waren und Mythen ihren Alltag mehr als uns heute prägten.
FONTANE notierte, als er seinen Roman Die Likedeeler »(Likedealer, Gleichteiler, damalige denn es spielt Anno 1400 – Kommunisten), eine Gruppe von an Karl Moor und die Seinen erinnernden Seeräubern, die unter Klaus Störtebeker fochten und 1402 auf dem Hamburger Grasbrook en masse hingerichtet wurden«* (der leider ein Fragment blieb) plante, folgende Fragen:
»1. Wie sah ein Schiff Anno 1400 aus?
2. Wie waren die Kostüme der Seeleute?
3. Wie waren die Kostüme der Dorfleute, auch die kleiner Krämer?
4. Wie war die Tracht eines Abts, eines Priors, wenn er sozusagen in Schlafrock und Pantoffeln war?
5. Wie war das Kostüm eines Schiffsführers, eines Capitains oder Admirals?
6. Wie war das Kostüm eines friesischen Häuptlings im Kriege und friedlich daheim?
7. Wie trug sich die Tochter eines solchen Häuplings? Ist es denkbar, daß sie eine Art Klostertracht (erzogen in einem Kloster) beibehielt?
8. Wie war ein maurischer Knabe ungefähr gekleidet?
9. Wie ist die Ansprache an einen Propst? Ehrwürdiger Vater oder dergleichen?«
Auch er wollte die Welt sehen, von der er erzählte, nur so konnte er schreiben. Denn, so schreibt er:
Alles steht mir fest, nur eine Kleinigkeit fehlt noch: das Wissen. Wie eine Phantasmagorie zieht alles an mir vorbei, und eine Phantasmagorie soll es schließlich auch wieder werden. Aber eh es dies wieder wird, muß es eine bestimmte Zeit lang in meinem Kopf eine feste und klare Gestalt gehabt haben. Dazu gehört genaustes Wissen.**Doch selbst große Schriftsteller können nur einen Teil der historischen Wirklichkeit darstellen. All das, was die Atmosphäre jener Zeit ausmacht, auch und gerade ihre Banalität, die so wichtig ist für den Menschen, lässt sich nicht schildern. Woher wollen Sie wissen, was die Amme dachte, als sie der Hexerei beschuldigt wurde, oder was der Ritter fühlte, als er in Granada auf seinen ersten Mauren stieß? Andererseits – mit Ihrem Einfühlungsvermögen kann es Ihnen gelingen, sich in die Gedankenwelt und das Handeln Ihrer Figuren zu versetzen.
Doch Vorsicht: prüfen Sie jedes Wort, das Sie schreiben, damit das für Sie und Ihren Leser Fremde nicht konstruiert, sondern alltäglich und damit glaubwürdig klingt. Die Sprache verändert sich, Wörter sterben aus oder deren Sinn verändert sich. Im Mittelalter gab es keine allgemein verbreitete Hochsprache , die Menschen sprachen »umgangssprachlicher«. Eine übertriebene »historische« Ausdrucksweise würde unglaubwürdig klingen. Sie können noch so viele Bücher aus dem Mittelalter und über das Mittelalter lesen … den Sprachduktus können Sie nicht treffen. Moderne Begriffe würden wiederum die Atmosphäre des Textes zerstören.
Dennoch sollten die Sprache der Protagonisten und die Sprache des Textes zu der Zeit passen, über die Sie schreiben, damit sie Ihren Leser in die entsprechende Stimmung versetzen. Veraltete Wörter finden Sie auf www.ladymin.de/literat/altverben.htm und www.wortschatz.uni-leipzig.de. Aber verwenden Sie sie so, dass Ihr Leser nicht bei jedem Wort nachschlagen muss, um es zu verstehen. Dann wird er nämlich entnervt aufgeben und nicht weiterlesen.
Fühlen Sie sich auch ein, wenn Sie Dialoge schreiben. Wie sprachen Adlige, Bürger und Bauern? Welche Fachausdrücke gebrauchten Seemänner oder Maurer? Welche deftigen Redensarten und Schimpfwörter? Worüber unterhielten sich die Menschen? Wenn Sie keine Ahnung haben, wie sich ein Minnesänger mit seiner Angebeteten unterhielt, werden die beiden nur Banales reden und das Gespräch wird platt und hölzern wirken.
Doch letztlich bleibt bei allen Fakten die Phantasie, der es erlaubt sein muss, eine Welt und Menschen, die in ihr leben, handeln und fühlen, zu erfinden.
*In einem Brief an Hans Hertz vom 16. 3. 1895
** Ebenda
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