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Donnerstag, 14. Juni 2012

Sinniges und Widersinniges: Über die Unlogik der deutschen Sprache. I


Wider bedeutet gegen, das wissen wir seit der Schule, als unser Lehrer angewidert war, wenn er in unseren Aufsätzen mal wieder wiederspiegeln lesen musste, und er, wenn wir ihm widersprachen, auf unsere Widerworte widerlich reagierte. Aber wenn wider gegen bedeutet, warum ist dann der Widerstand kein Gegenstand, aber das rot unterstrichene Widerwärtige in unserem Diktatheft für unsere Eltern durchaus gegenwärtig?

Uns dagegen widerte das Warten auf das Wiederbekommen der Diktathefte an, ja, es war uns zuwider, weil wir wieder erwarteten, dass die Seiten von rot unterstrichenen Fehlern wimmelten. Wider Erwarten hatte der Lehrer aber nichts gegen Werte, wenn sie sich in unseren Aufsätzen widerspiegelten. Und er wird sicher nicht widersprechen, wenn ich wieder spreche, dass man wider Widerreden reden und sich Gegensätzen widersetzen kann.

Warum ist etwas widersprüchlich, wenn andererseits nichts dagegen spricht, jeden Morgen im Kalender wieder Sprüche zu lesen, mögen sie noch so widersinnig sein (warum bedeutet eigentlich dagegen sprechen etwas anderes als widersprechen)? Und warum sollen wir immer wieder streben, nach Geld, nach Besitz, nach was auch immer, wenn uns das widerstrebt? Und überhaupt, warum sind wir widerspenstig, widerborstig, gar widersetzlich, wenn wir uns diesem Ansinnen widersetzen, und warum gibt es keinen Widersatz?

Ich habe inzwischen gelernt, dass man Gegensprechanlagen nicht widersprechen kann und dass man im Gegenlicht den Widerschein der Sonne in einem Tautropfen nicht fotografieren sollte. Es gibt nichts, was ich gegenwärtig widerwärtig finde, auch mag ich in der Gegenwart und auch sonst nicht nichts mit einem Widerwärtigen zu tun haben, aber warum gibt es keinen Widerwart? [Nachtrag: Es gibt ihn! Siehe http://juttas-schreibtipps.blogspot.de/2012/07/was-haben-eigentlich-der-widerwart-mit.html]

Ach ja, schon Jacob Grimm hielt in seiner Deutschen Grammatik aus dem Jahr 1826 die Unterscheidung zwischen wider und wieder für widersinnig:
(Es) haben die grammatiker (...) einen unbegründeten, dem ohr unvernehmbaren unterschied zwischen wider und wieder eingeführt, um die bedeutung contra [lat. = gegen] oder rursus [lat. = wieder, nochmals] damit zu faßen. Da diese natürlich in einander streifen, z. b. wider-schein sowohl abprall und gegenwirkung, als wiederhohlung des lichts bezeichnet, (...) so könnte man die unterscheidung getrost aufgeben. (S. 796)
Auch Konrad Duden fand das unsinnig. So schreibt er in einer Fußnote zum Stichwort wieder/wider in der ersten Ausgabe seines Wörterbuches (Leipzig 1880, S. 181):
... an sich sind beide Auffassungen, also auch beide Schreibungen, zufällig und zwar um so mehr, als wieder und wider ursprünglich dasselbe Wort sind, welches beide Bedeutungen („noch einmal“ und „entgegen“) in sich vereinigte. (Zitiert nach GrafOrtho)
Doch da er sich nicht durchsetzte, wurden diese Schreibweisen auf der Orthographischen Konferenz im Juni 1901 in Berlin festgeschrieben.

Was meint eigentlich der aktuelle DUDEN dazu? Nun, er schreibt, dass dieses „Wort oder diese Verbindung rechtschreiblich schwierig“ ist. Und zu Herkunft des Wortes schreibt er kurz und knapp: „mittelhochdeutsch wider, althochdeutsch widar (Präposition, Adverb), eigentlich = mehr auseinander, weiter weg“ (http://www.duden.de/rechtschreibung/wider), und unter dem Stichwort wieder („mittelhochdeutsch wider, althochdeutsch widar) weist er daraufhin, dass wieder erst im 17. Jahrhundert orthografisch und nach der Bedeutung von wider unterschieden wurde (http://www.duden.de/rechtschreibung/wieder).

Da weiß Johann Christoph Adelung aber mehr. Im Grammatisch-kritischen Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart aus dem Jahr 1801 schreibt er unter anderem:
Dieses alte Wort lautet schon von den frühesten Zeiten an widhar, und ward ehedem auch häufig mit dem Dative gebraucht, widar mir, Notker. Im Niederdeutschen wedder, im Ulphilas vithra, im Schwed. veder. Von dem seit langen Zeiten eingeführten orthographischen Unterschiede zwischen dieser Präposition wider und dem Adverbio wieder, siehe das letztere [den Eintrag zum Wörtchen wieder, jmw]. (http://www.zeno.org/Adelung-1793/A/Wider?hl=wider)
Er spricht sich auch für die Beibehaltung der unterschiedlichen Schreibweisen aus:
Ob nun gleich beyde Wörter im Grunde Eines Stammes sind, so ist es doch in der neuern Hochdeutschen Mundart seit dem 16ten Jahrh. gewöhnlich, selbige durch die Orthographie zu unterscheiden, und die Präposition wider, ohne e, das Adverbium aber mit dem e, wieder zu schreiben. Es ist der Mühe werth, die Ursache aufzusuchen, durch welche man dazu bewogen worden; und diese liegt ohne Zweifel in der Klarheit und Deutlichkeit des Ausdruckes.
Joachim Heinrich Campe schreibt im Wörterbuch der deutschen Sprache aus dem Jahr 1811
Dieses wieder ist eigentlich wie wider gleichen Urspunges, wie vor und für, dann und denn, wann und wen; man hat sie aber ihrer verschiedenen Bedeutungen wegen, die bei gleicher Schreibung dieser Wörter, verwechselt und mißverstanden werden könnten, durch verschiedene Schreibungen unterschieden. (S. 706)
Alle drei, Adelung, und Campe und vor allem Grimm, haben eine Menge zum Wörtchen wider zu sagen (lesen Sie einfach, wenn Sie mögen, hierhier und hier nach) und  Adelung hier und Campe hier zum Wörtchen wieder.

Ach ja, ich persönlich bin wieder nicht wider wider …

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