Aus Dichters Schreibstube
GOETHE sagt über WIELAND:
Denn daß er alles mit eigener Hand und sehr schön schrieb, zugleich mit Freiheit und Besonnenheit, daß er das Geschriebene immer vor Augen hatte, sorgfältig prüfte, veränderte, besserte, unverdrossen bildete und umbildete, ja nicht müde ward, Werke von Umfang wiederholt abzuschreiben, dieses gab seinen Produktionen das Zarte, Zierliche, Faßliche, das Natürlich-Elegante, welches nicht durch Bemühung, sondern durch heitere genialische Aufmerksamkeit auf ein schon fertiges Werk hervorgebracht werden kann.THUKYDIDES feilte beim Schreiben seines Werkes über den peloponnesischen Krieg immer wieder am Stil. Er verlängerte ein Wort zu einem Satz oder zog einen Satz in ein Wort zusammen, ersetzte ein Substantiv durch ein Verb oder ein Verb durch ein Substantiv. PLATON schrieb den Anfang der Republik in sieben verschiedenen Fassungen und FRIEDRICH DER GROSSE den Antimacchiavelli in drei. CAPOTE schreibt vier Niederschriften: eine mit Bleistift, eine auf blaues, eine auf gelbes und die endgültige Version auf weißes Papier. RANSMAYR, der keine Manuskriptseite weniger als dreißig Mal schreiben soll, die meisten gar hundert bis zweihundert Mal, sagt:
Die Zahlen haben gelegentlich zu einem seltsamen Poker geführt: 100, 200 Versionen! Wichtiger als solche Einsätze ist doch, dass ich das Glück habe, mir für meine Geschichten sieben Jahre und mehr nehmen zu können, bis sie in ihrer für mich schlüssigsten Form zur Sprache gebracht ist.Einer der unermüdlichsten Feiler war BALZAC. Er gab die Hälfte seiner Honorare für das Ändern von Druckvorlagen aus und wollte sogar das Doppelte bezahlen, doch die Drucker setzten seine bis zur Unleserlichkeit korrigierten Manuskripte nur widerwillig. Und wenn sie sie dann doch gesetzt hatten, korrigierte er sie wieder.
ECO berichtet, dass LAMARTINE über eines seiner Gedichte schrieb, es sei ihm »spontan eingefallen, urplötzlich in einer stürmischen Nacht im Walde«. Doch, so Eco: »Als er gestorben war, fand man seine Manuskripte mit zahlreichen Korrekturen und Varianten, und besagtes Gedicht erwies sich als das vielleicht am meisten ›bearbeitete‹ der gesamten französischen Literatur.«
FONTANE ist manchmal vierzehn Tage einem einzigen Wort »hinterhergerannt«. Er meint, dass drei Viertel seiner »ganzen literarischen Tätigkeit überhaupt Korrigieren und Feilen gewesen« sei. »Und vielleicht ist drei Viertel noch zu wenig.« STORM erzählt, dass ihn seine Prosa mehr Zeit gekostet habe als Verse, und Erich FRIED antwortet auf die Frage, ob er das fertig gestellte Buch noch einmal lese, ob er sich »sehr über scheinbare oder wirkliche Fehler« ärgere und ob er Lust habe, es noch einmal zu schreiben:
Nein, ich glaube nicht, daß man ein schon einmal geschriebenes Buch noch einmal schreiben darf, weil man nicht mehr derselbe Mensch ist. Wenn mir ein Buch oder ein Gedichtband gedanklich Mängel zu haben scheint, weil ich jetzt, wenn es zu einer Neuauflage erscheinen soll, über einiges anders denke, dann schreibe ich an den betreffenden Stellen ein Gegengedicht.Marie Luise KASCHNITZ hat oft »Gedichte ins Schmierheft gekritzelt, sie verworfen, zerhackt, mit neuen Gliedmaßen ausgestattet, mit Flitter behängt, von Flitter befreit, Kargwort neben Kargwort gesetzt, endlich das Ganze zerknüllt und in den Müll geworfen«, und es seien »nur zwei Worte oder drei gewesen …, die den nächsten Morgen überdauerten«.
SELBY hat zweieinhalb Jahre lang Nacht für Nacht an dem Kapitel aus Letzte Ausfahrt Brooklyn geschrieben, in dem eine Bande eine fünfzehnjährige Hure vergewaltigt. »Kannst du dir das vorstellen», sagte er zu seinem Interviewer, »zwanzig Seiten in zweieinhalb Jahren? Danach war ich so fertig, dass ich über ein Jahr keine Zeile schreiben konnte.« Auf die Frage, ob es nicht nervtötend gewesen sei, jeden Satz tausend Mal neu zu schreiben, entgegnet er:
Überhaupt nicht. Ich glaube, ich schreibe so, wie Edison erfand. Der wurde mal gefragt, ob das nicht entmutigend sei, 1138-mal damit zu scheitern, die Birne zum Glühen zu bringen. Und er sagte: Nein, jetzt kenne ich 1138 Methoden, wie es nicht funktioniert.James THURBER streicht neunzig Prozent seiner Wörter. Er soll seine Erzählungen fünfzehn Mal umgeschrieben und zweitausend Stunden für eine Arbeit verwendet haben, die zum Schluss höchstens zwanzigtausend Wörter umfasste. »Ich weiß nicht«, soll er geseufzt haben, »meine ersten Entwürfe klingen immer, als hätte die Putzfrau sie geschrieben. Nur ein einziges Mal ist es mir gelungen, eine Sache glatt herunterzuschreiben«. Bei Dorothy PARKER kommen auf fünf Wörter sieben, die sie streicht. SCHLINK streicht die Hälfte dessen, was er geschrieben hat, durch, schreibt etwas anderes darüber, korrigiert später noch einmal, und manchmal merkt er, wenn er den Text schließlich ins Diktiergerät spricht, dass die zweite durchgestrichene Fassung doch die richtige war.
Bedenken Sie jedoch bei allem Feilen und Löschen und Einfügen: Sie finden nie ein Ende, wenn Sie wieder und wieder versuchen, Ihren Text zu vervollkommnen. Denken Sie an den Spruch: Das Beste ist der Feind des Guten.
Ihr Werk ist fertig, wenn Sie nicht einen Satz daraus entfernen können, ohne ihm zu schaden. Sie sollten jedoch Ihr Werk als abgeschlossen betrachten: wenn der Punkt des »Verschlimmbesserns« erreicht ist
Last not least
Prüfen Sie, ob Sie jeden Rechtschreib- und Trennfehler korrigiert haben. Prüfen Sie Grammatik und Zeichensetzung.
Immer wieder muss man die Meinung sogenannter Autoren lesen, dass sie Stil, Rechtschreibung und Grammatik für zweitrangig halten, solange diese die Verständlichkeit des Textes nicht beeinflussen, und schließlich wolle man die Lektoren nicht arbeitslos machen. Abgesehen davon, dass die Verlage kaum noch Lektoren beschäftigen und freie Lektoren teuer sind – haben diese Autoren schon einmal einen Schauspieler sagen hören, dass Mimik und Gestik, Betonung und Ausdruck für ihn zweitrangig seien, solange der Zuschauer seine Worte versteht? Vertrauen sie einem Schuster, dem Material und Verarbeitung der Schuhe zweitrangig sind, solange sie nicht auseinander fallen? Kann jemand Mathematikprofessor werden, der die Grundrechenarten nicht beherrscht? Rechtschreibung, Grammatik, Interpunktion und Stil sind die Grundrechenarten des Schriftstellers. Sie entscheiden darüber, ob ein Text flüssig lesbar oder gespickt mit sprachlichen Stolpersteinen, dilettantisch oder professionell ist. Wer sich keine Mühe mit den Äußerlichkeiten gibt, wird kaum Vertrauen für sein Werk finden. Wenn der Text schon äußerlich schlampig ist, wie wird dann der Inhalt sein? Der Leser will sich nicht durch einen Text durchkämpfen. Vor allem will er ernst genommen werden.*
Je leichter sich ein Text liest, um so mehr Mühe hat sich der Autor mit ihm gegeben.
*Ich habe das absichtlich hervorgehoben, weil mich die Diskussion in vielen Foren gerade bei Xing einfach nervt. Ansonsten sollte man mit Hervorhebungen sparsam umgehen.
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