Der Autor ist der Mönch und Priester Otfrid von Weißenburg, der etwa von 790 bis 875 lebte. Er ist nicht nur der erste uns namentlich bekannte deutsche Dichter – bis dahin wurde Dichtung nur mündlich vorgetragen und weitergegeben –, sondern er ersetzte in seinem Evangelienbuch als erster deutscher Dichter den bis dahin in der germanischen Dichtung verwendeten »heidischen« Stabreimvers (Alliteration) durch den »christlichen« (christlich, weil er in lateinischen kirchlichen Hymnen verwendet wurde) Endreimvers. Reste davon finden wir heute noch in Redensarten wie Kind und Kegel, Haus und Hof, über Stock und Stein.
Und so geschah es, dass die ersten Menschen neben den Reimen Mut/gut, Jahr/wahr, Brust/Lust den Reim Herz/Schmerz hörten, der heute so verpönt, weil Kitsch, ist. Aber damals müssen die Menschen große Augen gemacht haben, als sie diese Verse vernahmen: »Sie eigun mir ginomanan liabon druhtin minan,/thaz min líaba herza,/bi thiu rúarit mih thiu smérza« – Sie haben es mir genommen dies mein liebes Herz,/darum rühret mich der Schmerz.
Arno Holz folgerte ein paar Jahrhunderte später und nachdem tausend und abertausend Dichter begeistert diesen Reim für ihre Liebeskummergedichte benutzt hatten, dass nichts mehr gehe: »Der Erste, der – vor Jahrhunderten! – auf Sonne Wonne reimte, auf Herz Schmerz und auf Brust Lust, war ein Genie; der Tausendste, vorausgesetzt, daß die Folge ihn nicht bereits genierte, ein Kretin.« – Aber »Falsch, ganz falsch«, antwortete Robert Gernhardt: »Der Erste, der Herz auf Schmerz reimte, war ein braver Mann; der Einmillionste aber, dem es gelingt, die beiden Begriffe einleuchtend, einschmeichelnd oder auch nur eingängig zu paaren, ist ein Genie, zumindest aber ein hochachtbarer Artist.«
Und es gab eine weitere Neuerung: Otfrid wollte die Eignung der deutschen (fränkischen)* Sprache für die Dichtkunst beweisen – dass für sie nicht nur die Sprachen der »edilzungun« – die heiligen Sprachen Hebräisch, Griechisch und Latein – als Sprachen der Kreuzinschriften gelten sollten. Er wusste, dass das neu war, denn diese Sprache sei zwar »noch nicht so gesungen worden« (nist si so gisungan) und in Regeln gefasst, sie besitze aber ihre »Geradheit in schöner Schlichtheit«.
In seiner in Latein verfassten Widmung an den Mainzer Erzbischof Liutbert finden wir auch die älteste uns bekannte Klage über die Schwierigkeiten des Schreibens in Deutsch, der »barbaries linguae«, denn sie sei »inculta, indisciplinabilis«, ohne Grammatikregeln.
*Erst seit dem 12. Jahrhundert gibt es das wahrscheinlich aus dem Lateinischen regermanisierte Wort diutsch/tiutsch (von theodiscus, das wiederum vermutlich von westgermanisch eudiskaz, abgeleitet von eoda, ahd. theot/thiot = Menschen, Volk = dem Volk zu- bzw. angehörig) stammt; mhd. diutsch > nhd. deutsch.
Mittwoch, 15. Oktober 2008
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