Auch Sprach' und Versebau und Rhythmus sei*
dem wohl empfohlen, der ein echtes Werk
zu schaffen wünscht. Er kann nicht leicht zu viel
Bescheidenheit und Vorsicht in der Wahl
der Wörter zeigen. Öfters wird ein Vers
vortrefflich, bloß wenn ein alltäglich Wort
durch eine schlaue Stellung unverhofft
zum neuen wird. Wo neuentdeckte Dinge
zu sagen sind, da ists mit Recht erlaubt,
auch unerhörte Wörter zu erfinden,
wenn diese Freiheit mit Bescheidenheit
genommen wird. Auch können neue Wörter
und Redensarten … mit Sparsamkeit
gebraucht, ein Recht an gute Aufnahm' fordern.**
Was kann der Römer einem Plautus und
Cäcil gestatten, das Virgil und Varius
nicht wagen dürften? Oder soll mir übel
genommen werden, wenn ich etwas Weniges
erwerben kann, da Ennius und Cato***
die Sprache mit so vielen neuen Wörtern
bereichern durften? Immer wars und bleibts
erlaubt, ein neugestempelt Wort
von gutem Korn und Schrot in Gang zu bringen.
So wie von Jahr zu Jahr mit neuem Laube
der Wald sich schmückt, das alte fallen läßt:
so lässet auch die Sprache unvermerkt
die alten Wörter fallen, und es sprossen neue
ins Leben auf, und füllen ihren Platz.
Wir sind uns selbst und alles Unsrige
dem Tode schuldig. … Und die Sprache sollte
allein in ew'gem Jugendglanze blühen?
Viel abgestorbne Wörter werden wieder
ins Leben kehren, viele andre fallen,
die jetzt in Ehren sind, so wie der Brauch
es fügen wird, bei welchem doch allein
die Macht, hierin Gesetz zu geben, steht.
Quintus Horatius Flaccus
(In Horazens Brief an L. Calpurnius Piso und seine Söhne [Von der Dichtkunst (De arte poetica)], übersetzt von Christoph Martin Wieland)
*Ich habe den Horaz hier, um des Zusammenhangs willen, ein paar Worte mehr sagen lassen als er ausdrücklich sagt: aber um in das Ganze Zusammenhang zu bringen, müßte man ein neues Werk daraus machen.
**Was Horaz hier den Römern erlaubt, haben sich die Italiäner, Franzosen, Engländer, ebenfalls erlaubt gehalten, und nur uns Teutschen sollt es verboten sein? Als ob unsre Alten nicht einmal Barbaren gewesen wären, wie andre; und als ob jemals die Sprache eines rohen Volkes ohne fremde Hülfe hätte gebildet und bereichert werden können?
***Cato Major, oder Censorius, einer der größten Männer des alten Roms, hatte sich auch durch verschiedne historische und ökonomische Werke um die römische Sprache verdient gemacht.
Freitag, 15. Dezember 2006
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