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Sonntag, 29. Oktober 2006

Achilles war ein Löwe in der Schlacht

Schriftsteller sind zugleich bildende Künstler: So wie der Maler mit zahllosen Farb- und Formnuancen arbeitet, malt der Schreiber mit den zahllosen Ausdrucksmöglichkeiten der Sprache. Er gebraucht sprachliche Bilder – die Metaphern (von gr. metaphorá: Übertragung, zu metà-: zwischen und phérein: tragen) –, um die Phantasie und Assoziationen des Lesers anzuregen, Neues durch Bekanntes zu sagen, ein einzigartiges Erlebnis oder einen außergewöhnlichen Sachverhalt zu veranschaulichen oder einen originellen Vergleich in einer speziellen Situation zu bieten: Ferkel gelten nicht als sauber, und deshalb können wir jemanden, der eingesaut ist, als Ferkel bezeichnen.

Sechs Worte im Refrain eines Liedes haben Mitte der 1990er Jahre Menschen überall auf der Welt zu Tränen gerührt, weil sie etwas zum Schwingen brachten, etwas, das sie in ihrem Innersten berührte: die Worte »Like a candle in the wind« (Wie eine Kerze im Wind). Jeder fühlte sich angesprochen, »nicht ausgesprochene Bezüge tauchen vor dem inneren Auge auf zum Leben, das wie eine Flamme leuchtet, das flackernd von Stürmen hin und her geworfen wird und dann grausam durch einen Windstoß verlöschen muss« (Anton VON LUTTEROTTI).

Solche Metaphern, geglückt auch in Rhythmus und Klang, kommen aus dem Innersten, aus dem Unbewussten des Dichters, sie können nicht ausgedacht, nicht konstruiert werden. Wahrscheinlich hat Elton JOHN gar nicht geahnt, dass seine Worte eine solche Wirkung erreichen würden. Lassen Sie sich also von sogenannten Experten nicht einreden, die Metapher sei tot und habe in modernen Texten nichts mehr verloren. Die Schönheit der Metapher ist zeitlos. Jean PAUL nennt sie »Brotverwandlung des Geistes«, und für ORTEGA Y GASSET ist die »Metapher … die größte Macht, die der Mensch besitzt: Sie grenzt an Zauberei.« –

So gesehen, sind wir alle Zauberer. Jeden Tag gebrauchen wir Metaphern, unsere Sprache ist von ihnen durchzogen (das ist schon eine Metapher). Wir verwenden Bilder oder Gleichnisse, um Kindern etwas zu veranschaulichen: Pass auf, das ist wie …, Stelle es dir mal so vor …, auch Erwachsenen gegenüber benutzen wir sie, wenn uns die Worte fehlen, um auf Fragen wie »Wie fühlt sich dein neuer Pullover an?« oder »Wie war der Mann gekleidet?« das auszudrücken, was wir gefühlt oder gesehen haben, oder weil die Antwort nicht so einfach ist. »Der Pullover fühlt sich an, als würden tausend Blattschneideameisen die Wirbelsäule rauf und runter krabbeln« könnten wir sagen und »Tja, er wirkte wie ein Modell aus einer Werbung für die Altkleidersammlung«.

Nach QUINTILIAN und ARISTOTELES lassen sich Metaphern in Form einer mathematischen Gleichung aussprechen: A ist B: Achilles war ein Löwe in der Schlacht. Das Wort Löwe ist noch keine Metapher, in dem Satz verliert es jedoch seine ursprüngliche Bedeutung und wird zum Sinnbild für Stärke, Kraft, Mut, Tapferkeit und Angriffslust. Achilles war so stark und mutig wie ein Löwe oder Achilles kämpfte wie ein Löwe sind dagegen Gleichnisse. Das Gleichnis wird zur Metapher, wenn das Wie wegfällt und die Eigenschaften nicht mehr genannt werden: wenn, um bei dem Beispiel zu bleiben, die Eigenschaften des Löwen auf Achilles übertragen werden.

In einer Sendung des WDR 2 vom 14. 10. 2001 heißt es: »Die Sechziger – als Löwen gestartet, als Bettvorleger gestrandet.« Da fragt man sich, was aus der Sprachlehre geworden wäre, hätten die beiden Philosophen den Bettvorleger statt Achilles als Beispiel für die Metapher als Stilmittel gewählt … Als Bettvorleger haben wir auch den Tiger gefunden, zum Beispiel: »Wie Guido (Westerwelle, jmw) – als junger, dynamischer Spaßtiger gestartet und nun als Bettvorleger gestrandet.« – Doch was ist der Unterschied zwischen Tiger und Löwe? Und warum nicht der Jaguar? Aber diese Überlegung führt hier wohl zu weit. – Bei Google haben wir an die 700 Eintragungen gefunden dafür, dass eine Raubkatze gelandet ist. Ob nun Löwe oder Tiger, gestrandet oder gelandet – diese Metapher ist allerdings inzwischen abgedroschen. (Mittlerweile ist der Bettvorleger als Flickenteppich gelandet …)

Mit Metaphern können Sie abstrakte Dinge, aber auch Gefühle, veranschaulichen. Sie erzielen dadurch sprachliche Überraschungseffekte und erhöhen so das Lesevergnügen. Metaphern erhöhen die Ausstrahlung eines Textes und machen ihn lebendig.

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