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Dienstag, 18. Juli 2006

Keine Regel ohne Ausnahme (Modewörter)

Den Modewörtern ergeht es, sagt Siegfried LENZ, »wie dem Papiergeld – wenn es zu sehr abgegriffen ist, tauschst du es gegen frisch gedrucktes ein«. Heute selten gebrauchte Wörter wandeln sich schnell zu Modewörtern, andererseits klingen Wörter, die früher als Modewörter bezeichnet wurden, heute wieder unverbraucht. Deshalb sollten wir beim Verurteilen dieser Wörter vorsichtig sein. Vor hundertzwanzig Jahren nannte WUSTMANN in Sprachdummheiten Modewörter, die immer noch lebendig sind wie bislang, erheblich, erhellen, herausbilden, langzeitig, kurzzeitig, naturgemäß, selbstredend, unerfindlich, unentwegt, Schulter an Schulter, von ungeheurer Tragweite. Ob sie einen Text verschönern, steht auf einem anderen Blatt.

Nicht nur Modewörter können neu belebt werden. Viele »große« Wörter sind mürbe geworden, viel zu oft benutzt und ihrer ursprünglichen Aussage beraubt. Was bedeuten heute noch Wohltäter, Demut oder Pflicht? »Man muß einen Ausdruck aus der Sprache herausziehen, ihn zum Reinigen geben – und kann ihn dann wieder in den Verkehr einführen«, sagt WITTGENSTEIN. Wenn die Worte rekonstruiert sind und wieder in den Umlauf gebracht werden, würde ihnen wieder zu trauen sein. Vor allem nach der Nazizeit war, wie SCHNURRE schreibt, die Sprache nicht mehr zu gebrauchen:
Sie musste erst mühsam wieder Wort für Wort abgeklopft werden. Jedem »und« und jedem Adjektiv gegenüber war Vorsicht geboten. Die Sprache, die so entstand war nicht schön. Sie wirkte keuchend und kahl, und Umgangsidiome und das Misstrauen gegenüber langen Sätzen und großen Worten hatten mitgearbeitet an ihr. Doch sie ließ sich gebrauchen.

Verwenden Sie Modewörter ironisch: Karl KRAUS las im Ersten Weltkrieg soviel über Munitionsfabriken, die wie »Pilze aus dem Boden schossen«, dass er bat, es möchten endlich »die Pilze wie die Munitionsfabriken aus dem Boden schießen«, und die in der ehemaligen DDR gebürtige Schriftstellerin Gabriele ECKART kommentierte die überquellenden Schaufenster in Westdeutschland mit »Im Gegensatz zu der DDR stehen hier die Dinge Schlange nach dem Kunden«.

Mit Modewörtern lassen sich auch Figuren oder Gesellschaftskreise ironisch charakterisieren. FONTANE lässt seine Kommerzienrätin Jenny Treibel das Wort unentwegt sagen, um ihre Bemühungen um (Schein-)Bildung und gesellschaftliche Anerkennung bloßzulegen. – Ist charakterisieren nun ein Fremdwort, ein Modewort oder das treffende Wort? Entspräche beschreiben, bewerten, darstellen oder kennzeichnen, wie das der Thesaurus von MS-Word vorschlägt, dem Gemeinten eher? – Sie sehen, Sie müssen jedes Wort bewusst wählen. Bitte schreiben Sie uns, wenn Ihnen hier eine nachlässige Wortwahl auffällt. Wir sind für jeden Hinweis dankbar.

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