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Samstag, 4. August 2012

Goethe an Schiller am 22. 8. 1797 zu dessen Ballade "Die Kraniche des Ibykus"

Frankfurt 22. Aug. 1797.             

An Friedrich Schiller

Ihr reiches und schönes Paketchen hat mich noch zur rechten Zeit erreicht. In einigen Tagen gedenke ich wegzugehen und kann Ihnen über diese Sendung noch von hier aus einige Worte sagen.

Der Almanach nimmt sich schon recht stattlich aus, besonders wenn man weiß was noch zurück ist. Die erzählenden Gedichte geben ihm einen eignen Charakter.

Die Kraniche des Ibykus finde ich sehr gut gerathen; der Übergang zum Theater ist sehr schön, und das Chor der Eumeniden am rechten Platze. Da diese Wendung einmal erfunden ist, so kann nun die ganze Fabel nicht ohne dieselbe bestehen, und ich würde, wenn ich an meine Bearbeitung noch denken möchte, dieses Chor gleichfalls aufnehmen müssen.

Nun auch einige Bemerkungen: 1) der Kraniche sollten, als Zugvögel, ein ganzer Schwarm sein, die sowohl über den Ibykus als über das Theater wegfliegen; sie kommen als Naturphänomen und stellen sich so neben die Sonne und andere regelmäßige Erscheinungen. Auch wird das Wunderbare dadurch weggenommen, indem es nicht eben dieselben zu sein brauchen; es ist vielleicht nur eine Abtheilung des großen wandernden Heeres und das Zufällige macht eigentlich, wie mich dünkt, das Ahnungsvolle und Sonderbare in der Geschichte. 2) Dann würde ich nach dem 14. Verse, wo die Erinnyen sich zurückgezogen haben, noch einen Vers einrücken, um die Gemüthsstimmung des Volkes in welche der Inhalt des Chors sie versetzt darzustellen, und von den ernsten Betrachtungen der Guten zu der gleichgültigen Zerstreuung der Ruchlosen übergehen, und dann den Mörder zwar dumm, roh und laut, aber doch nur dem Kreise der Nachbarn vernehmlich, seine gaffende Bemerkung ausrufen lassen. Daraus entständen zwischen ihm und den nächsten Zuschauern Händel, dadurch würde das Volk aufmerksam u. s. w. Auf diesem Weg, so wie durch den Zug der Kraniche würde alles ganz ins Natürliche gespielt und nach meiner Empfindung die Wirkung erhöht, da jetzt der 15. Vers zu laut und bedeutend anfängt und man fast etwas anders erwartet. Wenn Sie hie und da an den Reim noch einige Sorgfalt wenden, so wird das übrige leicht gethan sein, und ich wünsche Ihnen auch zu dieser wohlgerathnen Arbeit Glück.

http://www.zeno.org/Literatur/M/Goethe,+Johann+Wolfgang/Briefe/1797

Fortsetzung http://juttas-schreibtipps.blogspot.de/2012/08/goethe-schiller-am-23-8-1797-zu-dessen.html

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