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Dienstag, 22. November 2011

Jean Paul über sinnliches Schreiben

(und nun sage mir noch einer, Sol Stein und all die anderen Creative-Writing-Lehrer hätten die Regeln für literarisches Schreiben erfunden; siehe dazu auch http://juttas-schreibtipps.blogspot.com/2011/10/erzahle-nicht-sondern-zeige-dont-tell.html)

Sinnlichkeit durch Gestalt und Bewegung ist das Leben des Stils (fett hier und im folgenden jmw), entweder eigentliche oder uneigentliche.

Den Ruhm der schönsten, oft ganz homerisch verkörperten Prose teilt Thümmel vielleicht mit wenigen …  Man könnte oft Thümmel ebensogut malen als drucken; z.B.: »Bald fuhr der Amorskopf eines rotwangigen Jungen zu seinem kleinen Fenster heraus, bald begleiteten uns die Rabenaugen eines blühenden Mädchens über die Gasse. Hier kam uns der Reif entgegengerollt, hinter dem ein Dutzend spielende Kinder hersprangen. Dort entblößte ein freundlicher Alter sein graues Haupt, um uns seinen patriarchalischen Segen zu geben.« Bloß an der letzten Zeile vergeht das Gemälde. Ebenso schön sinnlich ists, wenn er von den Empfindungen spricht, die man hat, »wenn die Deichsel des Reisewagens wieder gegen das Vaterland gekehrt ist«. (…)

Es gibt viele Hülfmittel der phantastischen Sinnlichkeit. Z.B. man verwandelt alle Eigenschaften in Glieder, das leidende Wesen in ein handelndes, das Passivum ins Aktivum. Wird z.B. statt: »durch bloße Ideen werden die Verhältnisse der ganzen Erde geändert« lieber gesagt: »das innere Auge oder dessen Blick bevölkert Weltteile, hebt Länder aus dem Sumpf etc.«: so ist es zum wenigsten sinnlicher. Je größer der sinnliche leidende oder tätige Kasus: desto besser; z.B. »einem Lande dringt sich die Krone als Sonne auf.«

(…) Ein ruhender Körper wird nicht so lebhaft durch ein intransitives Zeitwort dargestellt als durch ein tätiges; z.B. »die Straße läuft, steigt etc. über Berge, Sümpfe« ist nicht so lebendig als: »die Straße schwingt sich, windet sich über Berge.« (…) Das Partizipium, zumal das tätige, ist besser als das trockne Adverbium: z.B. sie haben sein Leben zögernd zerstört, anstatt langsam. (…) Die Neuern stehen in ihrer erbärmlichen Partizipien-Dürftigkeit gegen die Römer als Hausarme da, gegen die Griechen gar als Straßenbettler. Ein Beiwort wird vorteilhaft in ein Hauptwort durch Zusammensetzung verwandelt: z.B. goldene Wolke in Goldwolke, giftiger Tropfe in Gifttropfen, beschränktes Auge in Schranken des Auges. (…)  Schon die gemeine Sprache bemalt noch das Bezeichnen der Sinnen-Wörter; z.B. blutrot, feuerrot, käse- oder kreideweiß, kohl- oder rabenschwarz, oder gar kohlrabenschwarz, essigsauer, honig- oder zuckersüß, wozu noch die deutschen Einwort-Assonanzen kommen: Klingklang, Ripsraps, Holterpolter etc. So darf denn auch die höhere Sprache in ihre Schattenrisse Farben tropfen lassen; z.B. anstatt Flügel der Zeit habt ihr noch (insofern nur Schnelle zu zeigen ist) Falken-, Schwalbenflügel der Zeit; bei Tatze und Klaue bietet sich euch die ganze Wappenkunde dar mit Tiger-, Löwen-, Leoparden- etc. Tatzen, dann mit Adler-, Falken-, Greifgeier-Klauen. – Und wirken denn nicht kleine Nebenfarbengebungen so weit hinein, daß der Dichter mehr gewinnt z.B. mit nirgend und nie als mit nicht, weil jene schon Raum und Zeit andeuten, nicht aber alles oder nichts? Ja geht nicht alles so ins Kleinste, daß z.B. wegstoßen, fortstoßen sinnlicher anklingt als verstoßen, oder sinnlicher entzweireißen als zerreißen, bloß weil ver und zer nicht an und für sich stehen und zeigen können, wohl aber weg und entzwei?

(…) nichts ist matter, als wenn Sinne auf Worten wachsen oder umgekehrt; man sollte nicht einmal mit Wieland sagen: »dem Zahn der Zeit trotzen,« das T-Z-Terzett nicht einmal gerechnet.

Die Beiwörter, die rechten und sinnlichen, sind Gaben des Genius; nur in dessen Geisterstunde und Geistertage fället ihre Säe- und Blütenzeit. Wer ein solches Wort erst sucht, findet es schwerlich (…)  Manchem Kosegartischen Gemälde geht oft zu einem dichterischen nichts ab als ein langer – Strich durch alle Beiwörter.

Jean Paul, Unbildliche Sinnlichkeit

(In Vorschule der Ästhetik http://gutenberg.spiegel.de/buch/3210/46)

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