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Freitag, 27. Juni 2008

Über den Brotberuf


… ich stürze aus meinen idealistischen Welten, sobald mich ein zerrissener Strumpf an die wirkliche gemahnt. (SCHILLER)

Natürlich wollen Sie mit dem Schreiben Geld verdienen, aber geben Sie nicht auf, wenn das, was Sie mit dem Schreiben verdienen, nicht zum Leben reicht (anfangs reicht es mit Sicherheit nicht). Sie sind in illustrer Gesellschaft: Viele bekannte Schriftsteller waren Gelegenheitsschriftsteller. SCHNITZLER, BENN und DÖBLIN arbeiteten als Ärzte, FRISCH verdiente sich seinen Lebensunterhalt als Architekt, REMARQUE als Lehrer, der Meistersänger Hans SACHS als Schuhmacher; nicht zu vergessen GOETHE, der im öffentlichen Dienst beschäftigt war.

Der Kaufmann Ludwig REINERS, bekannt durch seine Deutsche Stilkunst. Ein Lehrbuch deutscher Prosa, die für mich immer noch die beste deutsche Stilkunde ist und mein Lieblingsbuch Der Ewige BrunnenEin Hausbuch deutscher Dichtung, bezeichnete sich als Sonntagsschriftsteller. Zu seinem sechzigsten Geburtstag gratulierte ihm ein Freund mit den Worten, er sei der bedeutendste Schriftsteller unter den Textilfabrikanten und der bedeutendste Textilfabrikant unter den Schriftstellern.

HEMINGWAY war wie FONTANE und GRILLPARZER Journalist, bis er »dieses verdammte Zeitungszeug bringt mich noch um« seufzte. Er vertraute seinem Talent und kündigte, unterstützt von Gertrude STEIN, seinen Job. Oft streifte er hungrig durch Paris, weil wieder einmal eine Geschichte abgelehnt worden war, und beneidete die Leute, die »im Freien an den Tischen auf dem Bürgersteig aßen, so daß man das Essen sah und roch«. Doch dann beschimpfte er sich: »Du verfluchter Meckerer, du hast aus eigenem Antrieb den Journalismus aufgesteckt.« KÄSTNER wurde aus seiner ersten Arbeitsstelle als Redakteur entlassen, weil er zu frivole Liebesgedichte schrieb.

Obwohl er als der erste freie Schriftsteller gilt, war LESSING auf sein Gehalt als Bibliothekar in Wolfenbüttel in Höhe von rund achthundert Reichstalern angewiesen. Und kein Geheimnis ist, dass heute manche Schriftsteller – hauptsächlich Kinder- und Jugendbuchautoren, die mit ihren Büchern meist wenig verdienen – vom Schreiben mehr oder weniger anstößiger Heftchen leben.

Auch SCHILLER musste sich um finanzielles Zubrot bemühen, denn er »schrieb mit den Schulden um die Wette« (KASAREK). Er hoffte, dass Veröffentlichungen zum Thema Geschichte sich eher verkaufen ließen als schöngeistige Literatur. In einem Brief an KÖRNER spricht er deshalb von ökonomischer Schriftstellerei:
Die Geschichte ist ein Feld, wo alle meine Kräfte ins Spiel kommen und wo ich doch nicht immer aus mir selbst schöpfen muß. Bedenke dies, so wirst du mir zugeben müssen, daß kein Fach so gut dazu taugt, meine ökonomische Schriftstellerei darauf zu gründen sowie auch eine gewisse Art von Reputation; denn es gibt auch einen ökonomischen Ruhm.
HEBBEL, der in seiner Jugend Laufbursche war (unter anderem bei einem Pfarrer, in dessen Bibliothek er die Bücher fand, aus denen er lernen konnte), veröffentlichte Gedichte in Modezeitschriften und gewann Förderer – Sponsoren, würden wir heute sagen –, die ihn finanziell unterstützten.

Vor allem nach dem Erfolg seiner Chronik der Sperlingsgasse kannte RAABE allerdings seinen Marktwert, er wusste aber auch, wie abhängig er vom Buchmarkt war. Er konnte vom Schreiben leben, weil er seinen Tagesablauf danach ausrichtete, doch dann und wann musste er seine Arbeit an einem Roman unterbrechen und schnell eine Erzählung produzieren, weil er Geld verdienen musste. Er verfasste sogar Kurzgeschichten – Fabrikware, wie er es nannte – auf Vorrat, damit er stets etwas für eine Veröffentlichung parat hatte. Am 24. Juli 1863 schrieb er an den Redakteur beim Westermann-Verlag, Adolf GLASER: »Wenn Du Dich objektiv auf Deinen Standpunkt als Schriftsteller stellst und den Westermann’schen Redacteur bei Seite läßt, wirst Du mir Recht geben, daß ich mit demselben Recht so schnell und sicher meine Arbeitskraft zu verwerten suche wie Herr G. Westermann sein Kapital.»

Urs JAEGGI schreibt, ein Romanschriftsteller des zwanzigsten Jahrhunderts müsse, »um den Lebensstandard eines hochspezialisierten Maschinensetzers zu erreichen, alle achtzehn Monate ein Werk mit Verkaufsziffern zwischen 8.000 und 10.000 Exemplaren veröffentlichen – ein in Deutschland seltener Fall.«

Gisela ULLRICH sprach 1989 schon von Scheinselbständigkeit:
Der von Auftraggebern und finanziellen Unterstützungen abhängige und sozial ungesicherte Schriftsteller (er erhält keine Kranken-, Renten- oder Arbeitslosenversicherung, keinen bezahlten Urlaub, kein Weihnachtsgeld) wurde neu definiert als arbeitnehmerähnlicher Urheber von Wortbeiträgen.
Martin WALSER sagt, dass er viel verdienen muss,
weil ich so lange daran gearbeitet habe (am Lebenslauf der Liebe – jmw). Wenn der Roman weniger als 100 000 Exemplare verkauft, zahle ich darauf. Das Fliehende Pferd habe ich in Nullkommanichts hingeschrieben, das hätte sich sogar mit weniger als 100 000 gelohnt. … Es ist zwar indezent von mir, wenn ich sage, dass ich von diesem Roman das auch erwarte. Aber ich sage es. Es stecken fast drei Jahre Schreiben und 15 Jahre Vorarbeiten drin.
Der Dichter und Jurist EICHENDORFF rechtfertigt jedoch das »bürgerliche Korsett«:
Auch ich habe während meines langen Amtslebens beständig gegen diese Anfechtungen zu kämpfen gehabt. Aber es schadet eher nichts. Die prosaischen Gegensätze befestigen und konzentrieren nur die Poesie und verwahren am besten vor der Poetischen Zerfahrenheit, der gewöhnlichen Krankheit der Dichter von Profession.
Auch Jean PAUL spricht sich dafür aus, dass der Schriftsteller einen Beruf zumindest ausgeübt haben sollte:
Die Dichter der Alten waren früher Geschäftsmänner und Krieger als Sänger; und besonders mußten sich die großen Epopöen-Dichter aller Zeiten mit dem Steuerruder in den Wellen des Lebens erst kräftig üben, ehe sie den Pinsel, der die Fahrt abzeichnet, in die Hände bekamen. So Camoes, Dante, Milton etc.; und nur Klopstock macht eine Ausnahme, aber fast mehr für als wider die Regel. Wie wurden nicht Shakespeare und noch mehr Cervantes vom Leben durchwühlt und gepflügt und gefurcht, bevor in beiden der Blumensame ihrer poetischen Flora durchbrach und aufwuchs! Die erste Dichterschule, worin Goethe geschickt wurde, war nach seiner Lebensbeschreibung aus Handwerkerstuben, Malerzimmern, Krönungssälen, Reicharchiven und aus ganz Meß-Frankfurt zusammengebauet. So bringt Novalis … uns in seinem Romane gerade dann eine gediegenste Gestalt zu Tage, wenn er uns den Bergmann aus Böhmen schildert, eben weil er selber einer gewesen.
Der Versicherungsbeamte und Jurist Franz KAFKA – und nicht nur er – wurde erst nach seinem Tod berühmt. Wer kennt nicht den Spruch: »Nur ein toter Dichter ist ein guter Dichter«, oder, wie Robert LEMBKE so schön sagt: »Anerkennung ist eine Pflanze, die vorwiegend auf Gräbern wächst.« – Das mag auch daran liegen, dass viele Schriftsteller zu der Zeit, in der sie lebten, nicht verstanden wurden.

1 Kommentar:

  1. Thema des Rätsels im Kalendarium des Autorenkalenders 2009 (erscheint im August im Uschtrin-Verlag) sind genau diese »Nebenberufe« von Autoren. Jeden Tag findet sich ein Eintrag mit Hinweisen auf Lebensumstände und Berufstätigkeit, aufgrund dessen dann Autor oder Autorin zu erraten ist. 356 mal!

    Horst-Dieter Radke

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