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Montag, 24. Oktober 2011

Erzähle nicht, sondern zeige (Don’t tell, but show) (Über das Erzählen. V)


Die Erzählung wendet sich an die Intelligenz des Lesers, die selber die Dinge in Szene setzt. (MALLARMÉ)

Schreiben muß man so, daß das Bild körperlich fühlbar wird. (GORKI; eigentlich Alexej Maximowitsch Peschkow)

Diese drei Worte der Überschrift sollten Sie ebenfalls über Ihren Schreibtisch hängen. Sie nennen die zweite goldene Regel des Erzählens und hängen eng mit der ersten zusammen (siehe Über Bewegung, Wasserkessel, Wut und das Wetter). Doch leider werden sie viel zu selten beachtet, vielleicht, weil deren Umsetzung so schwierig ist. Sie bedeuten, dass Sie Ihrem Leser sich, Ihre Welt, Ihre Gedanken und Visionen zeigen sollen, also nicht belehrend und nicht erklärend, sondern so, dass Bilder in ihm lebendig werden – dass er alles, was Sie schreiben, unmittelbar miterlebt.

Sol Stein & Co..

Nicht die Sache malen, sondern die Wirkung, die sie hervorruft. (MALLARMÉ)*
Schildern willst du den Mord? / So zeig mir den Hund auf dem Hofe: / Zeig mir im Aug von dem Hund gleichfalls den Schatten der Tat. (HOFMANNSTHAL)

Nein, der Satz »Don’t tell, but show« oder auch »Show, don’t tell« (Zeigen, nicht erzählen) ist weder ein Mantra von Schreibratgebern oder von US-amerikanischen Creative Writing-Dozenten. Es war Henry JAMES, der die Forderung, man solle nicht informieren, behaupten, beschreiben oder zu gut Deutsch labern, sondern zeigen (ich finde, die Übersetzung von tell in erzählen ist nicht gelungen, denn in gewisser Weise soll der Schriftsteller ja erzählen), in griffige Worte verpackte. Deshalb ist es auch nicht richtig, dass diese Forderung erfunden wurde, um den Leser, der filmische Erzählstrukturen gewohnt ist, wachzuhalten, wie Wikipedia schreibt. Auch finde ich den Standpunkt falsch, dass Literatur nicht zeigen könne, sondern nur erzählen, wie es bei Wikipedia an anderer Stelle heißt (siehe dazu alle meine Posts zu dem Thema unter  http://juttas-schreibtipps.blogspot.com/search/label/%C3%9Cbers%20Erz%C3%A4hlen).

Aber viele angehende deutsche Autoren stehen voll Ehrfurcht vor diesem Grundsatz und bewundern Sol STEIN, der ihn in Deutschland populär gemacht hat, für etwas, das schon MALLARMÉ und HOFMANNSTHAL in ihren Poetiken ausdrückten und viele andere Schriftsteller vor ihnen schon immer, genauer gesagt, seit HOMER wussten. Jeder, der Stein & Co. studiert, könne – so jubeln sie – gute Geschichten schreiben. So einfach ist das nicht. Stein & Co. haben das literarische Schreiben nicht erfunden.

Denn alles Wissen, das der Schriftsteller zum Schreiben braucht, findet er in der Weltliteratur. Für jede handwerkliche Frage – wie ein spannender Plot gefunden wird, wie Charaktere zum Leben erweckt und Gefühle im Leser geweckt werden, wie Dialoge lebendig werden, und eben auch, wie gezeigt wird statt zu informieren – entdeckt er dort die Lösung. HOMER ist bis heute berühmt, weil er nicht beschrieb, wie Uranus den Schild des Achill herstellte, sondern erzählte, wie er entstand. Er schildert nicht die Schönheit Helenas, sondern wie sie auf die trojanischen Recken wirkt.

Die anglo-amerikanische Short-Story-Schule geht zwar auf die Methode der Komposition (The Philosophy of Composition) und das Poetische Prinzip (The Poetic Principle) von POE zurück, aber dieser entwickelte die Poetiken vor allem der Brüder SCHLEGEL, COLERIDGES und letztlich ARISTOTELES’ auch nur weiter. Die US-amerikanischen Schriftsteller, deren Romane wir begeistert lesen, setzen die Regeln nur meisterlich um.

*Siehe dazu http://juttas-schreibtipps.blogspot.com/2011/10/zitat-des-tages-mallarme-zum-show-dont.html

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