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Montag, 19. September 2011

Merksätze zum Enden (vor dem Feilen zu lesen)

Ein Ende ist …, was selbst natürlicherweise auf etwas anderes folgt, und zwar notwendigerweise oder in der Regel, während nach ihm nichts anderes mehr eintritt. (Aristoteles, Poetik)

Die einfachste Form des Schlusses besteht darin, einfach aufzuhören. (Manfred Rommel, Wir verwirrten Deutschen)
Wie dem Leser vielleicht noch erinnerlich ist, habe ich einen würdigen Anfang gefunden. Aber die Schlüsse sind mir in meiner ganzen literarischen Entwicklung immer peinlich schwer gefallen. (Anthony Burgess, Fürst der Phantome)

  • Der Schluss ist ebenso wichtig wie der Anfang. Er sollte eine Steigerung bringen und sich vom übrigen Text abgrenzen.
  • Ein schlechtes Ende zerstört jeden sonst gutgeschriebenen Text. Der Leser ist enttäuscht, jammert um die verlorene Zeit und wird ein weiteres Buch aus der Feder dieses Autors nicht kaufen.
  • Enden Sie so, dass Ihr Leser nach den letzten Worten meint, er habe einen Freund verloren und das Buch noch einmal liest (und es weiter empfiehlt). Und dass er ganz gespannt ist auf weitere Werke aus Ihrer Feder.
  • Sie können so enden, dass Ihr Leser nach dem letzten Buchstaben weiter nachdenkt und Ihr Text ihn noch lange begleitet – der Schluss ist offen, wie auch das Leben offen ist. Das bedeutet aber nicht, dass der Schluss nebulös bleibt: Der Held kann sich nicht entscheiden, ob er nun nach Neuseeland auswandern soll oder lieber in Winsen an der Luhe bleibt.
  • Oder Sie enden so, dass Ihr Leser weiß, dass auch für ihn mit der Geschichte etwas abgeschlossen ist.
  • Der Schluss sollte eine Pointe – einen überraschenden, geistreichen Schluss – bieten.
  • Sie können auch mehrere Schlüsse anbieten, indem Sie einen Epilog schreiben (in dem einen wandert der Held aus, in dem anderen nicht).
  • Überlegen Sie, ob der Schluss, den Sie anbieten, glaubwürdig ist. Lassen Sie nicht Ihren Helden seitenlang überlegen, was er nun machen soll, und am Schluss plötzlich seine Sachen packen.
  • Enden Sie nicht damit, dass alles nur ein Traum war, dass der Held gar nicht nach Neuseeland auswandern wollte.
  • Zaubern Sie nicht am Ende einen Deus ex Machina hervor, zum Beispiel die große Liebe, die dem Helden plötzlich in Winsen an der Luhe über den Weg läuft und ihm so die Entscheidung abnimmt.
  • Enden Sie nicht mit einer Moral à la bleibe im Land und nähre dich redlich. Der Leser muss die Moral des Textes selbst finden.
  • Erklären Sie im Schluss nichts à la Er wollte ja etwas Neues wagen, aber letztlich siegt immer die Liebe. Wenn eine Erklärung nötig ist, ist der Text gescheitert.
  • Lassen Sei eine Figur nicht sterben, nur weil Sie nicht wissen, was Sie weiter mit ihr anfangen sollen. Wenn Sie deshalb Nebenfiguren sterben lassen, bedeutet das im allgemeinen, dass sie ziemlich unwichtig für den Text waren.
  • Die Hauptfigur darf sterben, wenn das die Dramaturgie verlangt, wenn es handlungslogisch ist oder wenn eine höhere Ordnung gesiegt hat (zum Beispiel bei der poetic justice).
  • Ein Text wirkt stark, in dem alles auf ein tödliches Ende hinsteuert, der Tod aber wegen eines Ereignisses, das natürlich begründet werden muss, nicht eintritt.
  • Auch Nebenfiguren haben Anspruch auf ein Ende.
  • Jeder Text kann mit einem Happyend enden, wenn das begründet ist.
  • Das Happyend muss schlüssig und objektiv möglich sein, es darf keine Flucht in eine Idylle bedeuten.
  • Sie müssen beim Schreiben nicht unbedingt das Ende vor den Augen sehen und voll Eifer darauf hin arbeiten, auch wenn der Plot – früher einmal nannte man das Exposé und Gliederung – das verlangt. Seien Sie flexibel.
  • Bringen Sie den Schluss an den Anfang. Stellen Sie zum Beispiel in einem Liebesroman das traurige oder gar blutige Ende an den Anfang und zeichnen Sie die Lügen und Enttäuschungen nach, die dazu geführt haben, wenn Sie kein Happyend anbieten können, weil Ihr Text das nicht erlaubt, Sie Ihren Leser aber nicht vor den Kopf stoßen möchten.
  • Eine Regel besagt, dass man bei seinen Texten den ersten und letzten Satz streichen soll. Streichen Sie nicht nur den letzten Satz, mitunter sollten Sie den ganzen letzten Absatz streichen.
  • Und last not least: Ein Ende zu finden ist schwer, doch noch schwerer ist, ein Ende zu finden – mit dem Schreiben nämlich. Viele Schriftsteller schreiben weiter, obwohl sie längst geendet haben.
Fragen Sie sich also beim Überarbeiten:

Hört die Geschichte an der richtigen Stelle auf, oder wird der Schluss zu weitschweifig, wird dort nur noch gelabert? Ist der Schluss überraschend? Haben ich die Geschichte auf den Punkt gebracht? Bauen die Ereignisse aufeinander auf? Sind die Konflikte angemessen gelöst?

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