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Montag, 11. August 2008

Malen mit Worten (Übers Erzählen. I)


Niemand lernt schreiben, der nicht sehen gelernt hat. (REINERS)

Das Auge war vor allem andern das Organ, womit ich die Welt fasste. (GOETHE)

Jean PAUL lobte den Schriftsteller Thümmel, weil man dessen Geschichten ebenso gut malen wie drucken könne … So paradox das klingen mag, der Erzähler darf gar nicht erzählen. Er fasst Farben, Geräusche, Gesten – die Bilder, von denen er erfüllt ist –, in Sprache, um im Leser Bilder entstehen zu lassen und Erinnerungen und Vorstellungen zu wecken.Wenn er die Bilder richtig wählt, erfährt der Leser den Text sinnlich und sieht viel mehr in ihm, als der Erzähler geschrieben hat (eine der Voraussetzungen für Literatur ist der »doppelte Boden« – der Subtext –, von dem Reich-Ranicki spricht). Die Bilder entstehen jedoch nicht durch Betrachten und Registrieren, sondern durch Schauen und Erkennen. Der Autor, der nur das schreibt, was er registriert, sollte Sachliteratur verfassen (womit nichts gegen das Schreiben von Sachbüchern gesagt sein soll) und keine Geschichten erzählen wollen. Aber selbst von Sachliteratur wird heutzutage mehr verlangt als das Aneinanderreihen von mehr oder wenigen schlauen Sätzen.

GOETHE bezeichnet Gedichte in dem gleichnamigen Gedicht als »gemalte Fensterscheiben«. Für den »Philister« – den Banausen –, ist alles »dunkel und düster« – unverständlich und ohne tieferen Sinn –, wenn er vom »Markt in die Kirche« hineinschaut. Und, so dichtet Goethe weiter, mag er »denn wohl verdrießlich sein/und lebenslang verdrießlich bleiben«. (Beachten Sie den Redundanz des Wortes verdrießlich, wodurch der elende Zustand besonders betont wird). Geht der Leser aber vorurteilsfrei in die Kirche hinein – in Gedichte und Geschichten –, wird es »auf einmal farbig helle«, »Zierat glänzt« und »bedeutend wirkt ein edler Schein«, und er nimmt er die Bedeutung von Gedichten und Geschichten gleichsam sinnlich wahr. Das erreicht der Schriftsteller aber nur, wenn er die Scheiben so farbig gestaltet, dass der Leser hineintreten und das Geschriebene lesen muss.

Denn so wie der Maler Geschichten mit dem Pinsel und Farben erzählt, malt der Erzähler mit Worten. Er schreibt nicht nur mit dem Ohr, sondern auch mit den Augen: Er lauscht nicht nur der Musik seiner Worte, sondern setzt das, was er innerlich sieht, in Bilder um: Er sieht das Kino in seinem Kopf, das Kopfkino.

Google findet für dieses Wort über 120.000 Treffer, aber kein einziges, wenn man Sartre und Kopfkino eingibt. Denn wohl niemand weiß, dass SARTRE es war, der den Begriff prägte. In seinen Erinnerungen Die Wörter schreibt er nämlich, weshalb er sich schon als Kind zum Schreiben hingezogen fühlte: »Wenn meine Mutter mich fragte: ›Poulou, was machst du?‹, kam es manchmal vor, daß ich mein Schweigegelöbnis brach, um ihr zu antworten: ›Ich mache Kino.‹ Tatsächlich versuchte ich, die Bilder aus meinem Kopf zu reißen und außerhalb meiner selbst zu verwirklichen.« –

Wenn der Schriftsteller diese Regel erfolgreich umgesetzt hat, würde ihn sogar ein PICASSO loben, der einmal sagte: »Wenn man ein Buch liest, hat man häufig das Gefühl, der Autor hätte es eigentlich vorgezogen zu malen, statt zu schreiben. Man kann die Freude, die er bei der Beschreibung einer Landschaft oder einer Person verspürt hat, richtig nachempfinden, da sie so plastisch wirken, als hätte er tief in seinem Innersten lieber Pinsel und Farben für ihre Ausgestaltung verwendet.«

Der Leser will nicht informiert werden, er möchte sehen, hören, fühlen, tasten, riechen und schmecken.

Bemühen Sie sich, wenn schon nicht in jedem Absatz, so doch auf jeder Seite etwas Sinnliches zu schreiben.

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