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Dienstag, 20. November 2007

Die Angst vor dem weißen Blatt Papier. III

Schreibblockade

Und wir möchten nicht vom Verstummen eines Schriftstellers sprechen, weil er nicht mehr zu schreiben vermag. »Das letzte Programm ist die Erfindung des Schweigens«, sagt Heiner MÜLLER. Er schrieb in Mommsens Block über die Schreibblockade des Historikers, der aus diesem Grund den lange angekündigten vierten Band über das Rom der späten Kaiserzeit nicht vollendet haben soll. Müller deutete diesen Block als Ekel vor der Geschichte, vor den Cäsaren, die Mommsen zu jämmerlich erschienen. Aber nicht nur deshalb schrieb Müller über Mommsen, er wusste, wovon er sprach: Es war seine eigene Geschichte. Seine letzten Texte sind Protokolle über das Nicht-mehr-Schreiben-Können. Er schauderte vor einer Gegenwart, über die er hätte schreiben müssen, wartete doch jeder auf sein Drama über das wiedervereinigte Deutschland. Auch BRECHT gelang nicht, trotz mehrerer Versuche ein Gegenwartsstück zu schreiben. Günter DE BRUYN zog bewusst einen Schlussstrich. Volker BRAUN dagegen machte in seinem 1990 veröffentlichten Gedicht Eigentum seine Schreibkrise sichtbar: »/ und unverständlich wird mein ganzer Text /«, was ihm sehr half. – Nein, wir möchten von der Schreibblockade sprechen, die aus dem Unterbewusstsein entsteht. –

Bitte berichten Sie nun nicht auch noch von Ihrer Schreibblockade. Reinhard BAUMGART hat den Begriff »Wohmanisieren« geprägt. Er spielt damit auf Gabriele WOHMANNS »Blick durch das eigene Schlüsselloch auf den eigenen Nabel« an: »Schreibend beschnuppern sie nur sich selbst und ihr Milieu, erzählen von ihren eigenen Ärzten, Tanten, Krankheiten, Ängsten, Ehe- und Nebenlieben, Alkohol- und Fernsehgenüssen.« Das interessiert niemanden, und es ist kein Wunder, dass moderne deutsche Literatur im Ausland kaum noch übersetzt wird. –

Zuerst einmal sind da die Selbstzweifel, die oft sogar zu Depressionen führen. Sie fürchten, dass Sie nie wieder etwas Vernünftiges werden schreiben können, ja, noch nie etwas Vernünftiges geschrieben haben, dass Ihr Einfallsreichtum für alle Zeiten verschwunden ist. Trösten Sie sich: Auch solche Gefühle kennt jeder Schreibende. Sie gehen vorüber. Und Selbstzweifel sind immer noch angebrachter als Selbstüberschätzung, als von seinem Können, von jedem Wort in seinem Werk, so überzeugt zu sein, dass man keine Ratschläge annimmt, für Kritik taub ist und jedes ablehnende Schreiben von Verlagen als tiefe Kränkung empfindet.

Oder Sie wollen perfekt sein: Sie entwickeln ein Schreib-Über-Ich (Lutz VON WERDER) und denken bei jedem Wort an Kritiker und lektorieren gleichzeitig. Oder Sie wollen nicht fertig werden, sei es wegen der Leere, die Sie nach der Fertigstellung Ihres Werkes fürchten, sei es, weil Sie sich um Verleger bemühen müssen – weil Sie es hassen, Ihr Werk wildfremden Menschen anzupreisen wie Sauerbier –, und weil Sie wissen, dass Sie sich Tag für Tag vor dem Briefträger fürchten werden wegen der Ablehnungsschreiben: weil Sie Angst vor einem Misserfolg haben.

Oder Sie haben Angst vor dem Erfolg. Da Sie Schriftsteller sind, haben Sie viel, gar zuviel Phantasie: Sie malen sich vorher schon aus, was geschehen wird, wenn Ihr Werk in jeder Buchhandlung ausliegt. Wie werden Ihre Familie, Ihre Freunde, reagieren? Wie wird sich Ihr Leben – wie werden Sie sich verändern? Wie werden Sie sich der Öffentlichkeit präsentieren? Sie werden vor fremden Leuten sprechen und in Talkshows auftreten müssen: Sie werden im Mittelpunkt stehen. Werden interviewt, rezensiert – Ihr Leben wird öffentlich sein. Sollten Sie diese Publicity fürchten, so veröffentlichen Sie unter einem Pseudonym oder suchen Sie, wie FREY rät, falls es gar nicht anders geht, einen »Psychofritzen« auf. –

Ein Pseudonym bringt jedoch Probleme mit sich. Niemand weiß, dass Sie den Text geschrieben haben. Und: Sie bleiben immer anonym, ob Sie das auf die Dauer wollen oder nicht. Verwirrend ist, wenn Sie mehrere Pseudonyme benutzen. RINGELNATZ konnte sich das leisten, Ihnen als Autor, der erst noch berühmt werden möchte, müssen wir jedoch davon abraten. Pseudonyme sind nur hilfreich, wenn Sie etwas schreiben, mit dem Sie nicht in Verbindung gebracht werden wollen wie Groschenhefte, Pornos, Enthüllungsromane – oder Ihre Autobiografie, bei der Sie aus verschiedenen Gründen anonym bleiben möchten. –

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